Verkaufskultur

Zu meinem letzten Beitrag gab es viele positive Rückmeldungen, nicht unbedingt hier auf dem Blog, aber in Gesprächen. Immer wieder hörte ich, dass man in unserem kleinen Geschäft für Herrenmode zufrieden war mit der Auswahl der Ware und dem Verkaufsvorgang überhaupt.
Daraufhin stellte sich die Frage, was für mich ein gutes Verkaufsgespräch und erfolgreiches Verkaufspersonal ist?
Ich war eine Quereinsteigerin, hatte wenig Kenntnis bzw. gar keine vom Verkauf. Es interessierte mich auch nicht.
Nach der Wende, als ich so ziemlich als Erste von meinem Betrieb, in dem ich in der Qualitätskontrolle und diversen Gutachterausschüssen tätig war, gekündigt wurde, stand die Frage: Was nun?
Mein Mann hatte 1984 das Bekleidungsgeschäft seiner Eltern übernommen. Es bot sich an, dass ich hier einsteigen könnte, obwohl das nicht mein Traum war. Im Nachhinein war es eine gute Entscheidung, da mir das Verkaufen und das Führen von Kundengesprächen lag. Ich absolvierte diverse Lehrgänge für Verkaufsgespräche, Dekoration mit Schreiben von Verkaufsschildern, einen für Warenkunde und fuhr auf Messen. Die Ware wählten wir gemeinsam aus.
Heute würde ich sagen, dass es zwei Dinge sind, die gutes Verkaufspersonal auszeichnet: Es muss den Kunden lieben und es muss die Ware lieben!
Ich lernte meine Lektionen für den Umgang mit Kunden nicht nur in Lehrgängen, sondern auch in der Praxis.

Es war November, kurz vor 18 Uhr, es regnete, der Wind pfiff um die Ecke und es war kalt. Ich war an dem Tage mental schon auf Feierabend eingestellt. Kasse war abgerechnet, zufrieden mit dem Umsatz war ich nicht, aber für dieses Wetter war er gut. Eine Viertelstunde vor Ladenschluss öffnete sich die Tür und ein grosser Mann trat ein. Dem Geruch nach zu urteilen und auch den kurzen Strohhalmen mit kleinen Lehmbrocken an den Schuhen, war es ein Bauer. Er trug eine Joppe, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Die Hose war ausgebeult und voller Flecken. Seine Miene finster, er grüsste kurz und schaute sich suchend um.
Ob er einen bestimmten Wunsch habe, fragte ich. Ja, meinte er, eine Jacke. Ich legte ihm zwei Jacken auf den Tisch, die er lange betrachtete. Ich nannte ihm die Vorzüge der Jacken für diese Jahreszeit, wies auf Besonderheiten wie das Material und zusätzliche Taschen hin. Als die Frage kam, unfreundlich, ob das alles sei, was ich anzubieten habe, legte ich ihm noch drei weitere Jacken auf den Tisch. Auch eine Lammfelljacke war dabei. Ich ertappte mich, dass ich nun weniger erklärte. Lange Zeit stand er nur da und schaute. Nach einer, für mich gefühlten, Ewigkeit nahm ich die Jacken und wollte sie wieder weghängen, dachte, der kauft sowieso nichts.
„Wollen Sie nichts verkaufen oder warum stehen Sie hier?“, hörte ich ihn fragen. Ich erschrak, hielt inne und schaute ihn an.
„Diese beiden nehme ich, die Lammfelljacke und den Parka!“
Völlig überrascht packte ich die Jacken ein, tippte den Preis in die Kasse und schaute ihn an. Es fiel kein Wort zwischen uns, als er bar bezahlte. Ich bedanke mich für den Einkauf, wünschte ihm Freude beim Tragen und einen schönen Abend, empfahl ausserdem, die Jacke mit Imprägnierspray einzusprühen.
Er antwortete nicht.
Der Umsatz für diesen Tag war nun richtig gut und ich hatte meine Lektion gelernt.
Vorurteile Kunden gegenüber waren ab jetzt tabu.

Nach einigen Wochen lernte ich die nächste Lektion.
Ein Ehepaar betrat den Laden, an deren Gesichter ich mich allerdings nicht erinnere. Die Frau sagte zu mir, dass ihr Mann neu eingekleidet werden soll. Das waren meine ‚Lieblingskunden‘, weil, ich gestehe es, der Umsatz dann meist gut war.
Ich weiss nicht, ob der Mann vom Dienst kam, aber er sah etwas ‚geschafft‘ aus. Arme hingen kraftlos herab, der Kopf gesenkt, insgesamt machte er einen lustlosen Eindruck. Sie sprachen nicht miteinander. Ich legte einige Kombinationen zur Auswahl auf den Tisch, die ich schon nach Farbe/Funktion zusammenegestellt hatte. Die Frau schickte ihren Mann in die Kabine zum Anprobieren. Er kam heraus und schaute in den Spiegel. Seine Schultern hoben sich, ein zartes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Die Hose saß, das Hemd gefiel ihm sehr und auch das Sakko kleidete ihn gut. Ich fragte, wie er sich fühlt und ob er passend zur Hose einen Gürtel möchte, was er bejahte. Wir lächtelten uns an und als ich mit dem Gürtel kam, er ihn einfädelte, schaute er zufrieden auf sein Spiegelbild und dann, ganz erwartungsvoll, zu seiner Frau. Genauso wie ich.
„Zieh aus, das steht dir nicht!“
Der Mann schaute sie völlig verdattert an, er verstand sie nicht, fragte aber nicht nach, was ihm nicht steht. Er ging in die Kabine und zog seine eigenen Sachen wieder an.
Das war meine zweite Lektion!
Künftig checkte ich sofort nach Betreten eines Kundenpaares an deren Gesten und Blicken ab, wer das Sagen in dieser Beziehung hat.
Meistens war es die Frau und ich sprach dann nur mit ihr, lobte den guten Geschmack ihrer eigenen Kleidung, machte ihr Komplimente. Über den Mann, dem eigentlichen Kunden, der meist daneben stand, sprachen wir in der dritten Person.
Diese beiden, verinnerlichten Lektionen erleichterten mir das Verkaufen.

Verkaufen war einfach, wenn man dem Kunden ein gutes Gefühl vermittelte, ihm half, das zu bekommen, was er brauchte, sich wünschte.
Es musste sozusagen für beide ein Gewinn sein, für den Kunden und auch für den Verkäufer.
Was es natürlich nicht immer war, denn jeder hatte sein Ego, was manchmal, ich drücke es mal so aus, im Zusammenspiel nicht so ganz harmonierte.

9 Kommentare zu „Verkaufskultur

  1. @Bludgeon, wenn ich mal deinen Faden aufnehmen darf und falls ich dich richtig verstanden habe,- so letztendlich und sicher kann man sich nie sein, wie es laufen wird. z.B., ich war in der Dienstleistung selbstständig und nicht selten bin ich aus den Gesprächen raus mit dem Gefühl, Mist- das hast è verbockt. Den Auftrag kriegst du nie. Und am nächsten Tag lag der Auftrag im Fax. Genauso auch umgekehrt. Jetzt, als Rentner im nachhinein, denke ich, ja, es lag immer etwas Spannung in der Luft. Aber auch: Brauch ich nicht mehr.

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  2. Zu Ostzeiten hab ich Verkäuferinnen nahezu ausnahmslos als „hammwernich“ lallende Geschöpfe wahrgenommen. Nach der Wende wurde es besser. Nun hing ja auch mehr Umsatzinteresse und Existenzsicherung dran.

    Diese Verschätzungserlebnisse (siehe den Jackenkäufer) gefallen mir: Kleider machen eben nicht immer Leute.

    Und so regionale Herkünfte auch nicht. In Prora war da allerhand zu erleben: Berliner und Potsdamer verachteten 1980 in der Regel Ostrock komplett. Die fühlten sich wie Möchtegern-Bundis(Wessi war noch nicht erfunden), wegen dem besseren RIAS Empfang. Als ich aber wegen Westplattenerwerb Geld brauchte und ein paar AMIGA Scheiben verhökern wollte, da ging meine einzige Puhdys LP ausgerechnet an einen Ostberliner! Sachen gibts!

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    1. Ich bin mir nicht sicher,
      ob es einer deiner ‚Sarire’beiträge ist, wundere mich aber schon, was du immer für Pech oder schlechte Erlebnisse in der DDR hattest😉 Ich erinnere mich an keine „lallenden“ Verkäufer, aber an die Aussage: Das haben wir nicht, leider!
      Ich bin fest davon überzeugt, dass ich immer das zurückbekomme, was ich gebe bzw. wie ich auftrete.
      Du auch?

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  3. Ein interessantes Thema. Es ist klar, dass man von seinen Produkten oder Dienstleistungen innerlich überzeugt sein sollte, dann fällt das Verkaufen leichter.
    Schwieriger ist der Drahtseilakt, seine Kunden zu akzeptieren und dabei auch zu lenken. Das habe ich von einem alten erfolgreichen Verkäufer gelernt. Der sagte: „wenn du verstanden hast, dass dein Geschäft deine Spielwiese ist, dann wirst erfolgreich verkaufen können“.
    Das bedeutet konkret, dass man seinen Kunden „durch die Blume“ klarmacht, dass man verkaufen muss um zu überleben, andererseits für den Kunden das Beste will. Nicht das Teuerste andrehen, sondern das Beste für sein Wohlbefinden anbieten.
    Nebenbei bemerkt ist die „Spielwiese“ auch prima für die buchhalterischen Belange 😉

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    1. Es stimmt,
      der Umgang mit den Kunden ist ein Drahtseilakt. Gut gefällt mir der Vergleich mit einer ‚Spielwiese‘, weil ich hier die Möglichkeit habe, in eine Rolle zu schlüpfen und verschiedene Möglichkeiten ausprobieren kann, um meine (Verkaufs)Ziele zu erreichen. Die Lust am Spielen jeglicher Art war bei mir immer vorhanden😉
      Vermute, nein, weiss- wir haben alles richtig gemacht👍

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  4. Angelernte Kundenqualifikation hat seine Grenzen. Ich dachte auch einst, ein alter Mann wollte sich in unserem Showroom nur vorm Regen schützen – mit einem hochwertige Cabrio (!) gab er sich zufrieden 😀 Von einem anderen Kunden wollte ich einen Bonitätsnachweis – lächelnd legte er mir ein Sparbuch vor. RollsRoyce hatte ich nicht im Angebot 😀 Mit diesen gemachten eigenen Erfahrungen konnte ich später unseren Mitarbeitern etwas auf den Weg geben. Last not least – ist man vom Produkt selbst begeistert, hat man sein Hobby zum Beruf gemacht..😀

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