Nacktbader im März

Die Welt erscheint mir ungerecht.
Immer dann, wenn ich die Wettervorhersage sehe und erkenne, die Temperatur im Süden wird wieder satte 10 Grad höher sein als hier an der Küste.
Darauf muss ich mich einstellen, denn ändern kann ich es nicht. Der einzige Vorteil ist, dass „Dauergekühltes“ länger frisch bleibt.
Heute zeigt das Thermometer schlappe 3 Grad an, die im Laufe des Tages doch noch auf 5 Grad steigen werden. Ich radle morgens gegen 8:30 Uhr los.
Kein Mensch auf der Strasse, beim Bäcker kein Anstehen. Ich fahre durch den Park und treffe auf einen meiner Frühbader vom Sommer. Noch ist auch bei ihm die Saison nicht eröffnet. Ende April/Anfang Mai werden wir uns frühzeitig am Strand treffen. Erst einmal erzählt er von seiner Erkrankung, dem Versagen der Ärzte, klar, und wie schlecht es ihm in den letzen 5 Monaten erging. Was soll ich dazu sagen? Sein Monolog endet mit der Erzählung seiner Segelreise vor zwei Wochen um die Inseln der Seychellen, von der er gerade zurück ist.
Hä? Warum dann das Jammern?
Ich fahre weiter auf die Promenade, mache Halt am Strandaufgang 18, schliesse das Rad an. Eine andere Frühbaderin unterhält sich mit einer Gruppe Männer, die zum Strand laufen, als ich bei ihnen ankomme. Drei Mützen hat sie auf, mehrere Jacken an. Es ist einfach kalt. Aber sie geht das ganze Jahr über morgens baden – bewundernswert.
Diese Männer, die sich eben mit ihr unterhielten, seien aus Magdeburg und wollen auch baden. Wow !!! Das will ich natürlich sehen.
Am Wasser angekommen, sehe ich sie ins Wasser laufen, schreiend und quiekend, so wie man halt ins eiskalte Wasser geht. Ich fotografiere sie.

Als sie aus dem Wasser steigen, frage ich, ob es okay ist, dass ich fotografiert habe und biete an, ihnen die Fotos zu senden. Sie sind begeistert!
Nackt und von der Kälte rot, stehen sie vor mir und sind total zufrieden, dass sie sich getraut haben.

Wir kommen ins Gespräch, tauschen uns über alles mögliche aus, stellen fest, dass wir alle fast in einem Alter sind, ausser Zweien. Ein Männerwochenende war der Anlass für die Fahrt von Magdeburg nach Warnemünde und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie noch „Nachglühen“ vom Abend vorher. Wir lachen viel, freuen uns, dass wir diesen Augenblick zusammen erleben dürfen.
Eigentlich könnten wir uns doch wiedersehen, oder?
„Ja“, meint einer von ihnen „im Sommer in Bad Doberan. Da fahren wir jedes Jahr zum ‚Zappanale-Festival‘ in Memorian an Frank Zappa!“

„Nur, wie erkennen wir uns? Du wirst ja nicht die rote Mütze tragen“, fragt mich der nächste.
„Nein, eher nicht“, lache ich „aber ich könnte euch ausrufen und dazu das heutige Bild vom Strand auf die Leinwand projezieren lassen. Natürlich ohne die Emojis! Irgendeine Frau oder Mann wird euch dann schon erkennen!“
Ein Moment Stille, dann brechen wir wieder in Lachen aus.

8 Kommentare zu „Nacktbader im März

  1. Fantastisch. Deine schöne Begegnung weckt bei mir die Sehnsucht nach dem Sommer. Unter 14° Wassertemperatur steige ich nämlich in keine Fluten. Schliesslich bin ich privat Heissduscher 😉

    Die Musik zum Bericht: Frank Zappa – One Size fits all (1975)

    Schöne Ostergrüsse
    Robert

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