Reise nach Portugal (4)

(Fiktive Briefe)

Liebe K.,
es war tatsächlich der 95.Geburtstag deiner Mutter, den ihr gefeiert habt? Vom Gefühl her war die Feier zum 90igsten erst gestern gewesen. Ob wir das auch schaffen? Wenn ja, dann steht die Frage: Wie wird es uns dann gehen? Einiges haben wir für diese Zeit getan, das auf jeden Fall. Du hattest immer die gesunde Inselluft, das weiche Fell des Pferdes und das gesunde Essen. Nicht zu vergessen deine vielen Kontakte, die dich geistig rege halten. Zum Beispiel der zu mir :-)))!
Wir haben inzwischen einen Teil des Nordens erkundet, sind viele Kilometer gefahren, aber auch gelaufen. Die Hotels unterwegs waren alle gut, Betten bequem und das Frühstück hervorragend.
Du erinnerst dich, ich hatte die Wanderung durch den Gerês Nationalpark abgewählt, fragte dann nach, was ich denn verpasst habe? Der Gatte erinnerte sich an nichts. Es war eine Wanderung – wie immer. Nun ja. Ich saß in der Zeit in Nähe der Kirche, trank einen Kaffee, beobachtete die Leute, schrieb nebenbei und löschte einen großen Teil der Urlaubsfotos. Sehr angenehm.

Am frühen Nachmittag ging es in das Douro-Tal mit dem bezaubernden Fluss Douro, der sich durch Weinberge schlängelt und von jeher eine wichtige Lebensader ist. Wir stoppten in dem Ort Vila Real, der mitten im zerklüfteten Hochland liegt. Vor den Toren der Stadt befindet sich der barocke Palast Mateus aus dem 18. Jhd, der noch immer im Besitz einer portugiesischen Adelsfamilie ist und zu den schönsten Bauten des Landes zählt. Die Chefin der Stiftung muss mindestens drei Monate im Jahr im Palast wohnen, sonst entfallen die Gelder vom Staat.

Palast Mateus
Innenräume und Kutsche

Für den nächsten Tag war eine Bootsfahrt auf dem Douro organisiert, die immer wieder an den terrassenförmig angelegten Weinbergen vorbeiführte. Eine entspannte Fahrt in der morgendlichen Kühle, nur 16 Grad und Wind!

Ausflugsdampfer auf Douro
Eisenbahnbrücke
Weinbergterrassen

Das familiengeführte Weingut Quintea de Sequeirinhas reichte ein Mittagessen aus regionalen Produkten und köstlicher Hausmannskost an. Das Mittagessen bestand aus einer Gemüsesuppe, einem Schweinebraten mit Soße und Reis und als Nachtisch eine Zitronencreme. Der Espresso war Filterkaffee. Alles total portugiesisch!
A b e r – der dazugereichte Wein war aus der eigenen Kellerei und schmeckte hervorragend. Zu jedem Gang ein passender Wein! Zur Vorspeise gab es einen Portwein, der mein Favorit war. Die freundliche Hausherrin erklärte uns die Herstellung der Weine, sprach über Probleme, Arbeitskräfte für die Lese zu finden und auch über die immer größeren Schwierigkeiten aufgrund permanenter neuer Bestimmungen der EU. Die Schräglage der Hänge verlangt die Lese per Hand.

Ziemlich geschafft erreichten wir unser Hotel, das idyllisch am Fluss liegt. Unsere Zimmer lagen auf der Seite zur Hauptstraße. Hoch leben die Ohrstöpsel!

Hotel mit Bus

Für mich absolut nachvollziehbar, dass eine Gruppe mit einer Übernachtung nicht die besten Zimmer bekommt. Im Programm des Veranstalters ist zweimal Picknick vorgesehen und ich sah mich schon auf einer Lichtung sitzen und Leckereien/Spezialitǎten aus Portugal essen. Tapas hatte ich vor meinem geistigen Auge. Die Realität ist banal und einfallslos. Zwei Scheiben Toastbrot mit hauchdünner Salami und noch dünnerer Scheibe Käse belegt, ohne Butter zusammengedrückt, dazu ein kleiner Tetrapack Obstsaft und eine Banane. Noch portugiesischer geht nicht! Fast wäre ich an einer Staublunge verstorben! Das kann nur besser werden. Zumindest in jeder Taverne. Die Preise in den Restaurants sind moderat. Sehr günstig sind Kaffee und Kuchen.


Es wäre ein Reiseland auch für dich, liebe K. Vielleicht sogar mit mir im Schlepptau! Schade, dass wir uns verfehlt haben. Ich habe eine Idee für ein Wiedersehen, die ich dir in einer der nächsten Mails unterbreiten werde.

Bis dahin, wie immer, liebste Grüße!

Reise nach Portugal (3)

(Fiktive Briefe)

Liebe K.,
ich freue mich , dass du dir die Zeit für eine Nachricht nimmst. Auch von anderen hörte ich, dass es in Deutschland fast einen ‚Wintereinbruch’ gegeben hat. Aber 31 Grad hier sind auch etwas zuviel! Ich weiß, das ist Jammern auf höchstem Niveau :-))
Die russische Firma, die die Sauna aufbaut, konntet ihr nicht finden? Sollte sie nicht mehr existieren? Wir erkundigen uns, wenn wir zurück sind.
Wir haben Porto verlassen und reisen weiter in Richtung Norden. Die erste Station ist das kleine Städtchen Guimarães, in dem der erste König geboren wurde, der diesen Ort zur ersten Hauptstadt ausrief und wir besichtigten den Palast der Herzöge von Bragança mit den aufwändigen Möbeln und Wandteppichen.

Palast der Herzöge in Guimarães
Palast-Innenhof

Die kleine Stadt mit ihren Gassen und der pittoresken Kirche verzauberte mich. In einem Café aßen wir vier verschiedene von den traditionellen Törtchen, die wir brüderlich teilten. Fast! Die Sonne brannte heiß vom Himmel, ringsum Stimmengewirr, der Kellner reichte auf meine Bitte hin Milch nach und meinte lachend, dass das 3 € extra kostet! Wir stimmen in sein Lachen ein. Noch ein Törtchen? Eins ginge noch. Nein wurde mir energisch angezeigt. Schade …

Viana do Castelo
Café
Pittoreske Kirche

In der meiner letzten Mail schrieb ich, dass wir in der Gruppe fremdeln. Meist braucht es ein kollektives Ereignis und der Bann ist gebrochen. Bei unserer ersten längeren Wanderung gab es das. Und ich war die Hauptakteurin! Ich gebe zu, dass ich nicht die große Wanderfreundin bin und bei Ankündigung von Schwierigkeitsgrad ‚leicht bis mittel‘ läuten meine Alarmglocken! Mit dem Bus ging es die Berge hinauf, immer vorbei an Eukalyptusbäumen, die für die Papierherstellung gebraucht werden. Auf einem Dorfplatz hoch oben starteten wir unseren Rundweg von ca. 9 km. Es ging abwärts, was kniemässig unangenehmer ist als aufwärts. Anfangs ein befestigter Weg mit kleinen Erhebungen, der später in Zustand ‚geröllmässig’ überging. Größere und kleinere Steine lagen auf den Wegen und ich passte höllisch auf. Es passierte trotzdem! Ein Stein rutschte unter dem Fuß weg, ich verlor das Gleichgewicht und fiel seitwärts der Länge nach hin. Noch im Fallen dachte ich: Abstützen und abrollen!Aber die Schwerkraft siegte und ich fiel ungebremst wie ein, gut, es muss gesagt werden, wie ein nasser Sack! Allein konnte ich nicht aufstehen – Schock? Sofort waren mehrere Hände da, die mich hochhievten und wieder aufstellten. Inzwischen wieder hellwach, fühlte ich nach, was es für Blessuren gab. Arm und Hand aufgeschlagen, Blut, Hüfte geprellt. Insgesamt Glück gehabt! Ein Arzt aus der Gruppe, versuchte sich in erster Hilfe, wurde aber von Reinhold, freiwilliger Feuerwehrmann, beiseite geschoben. Er beruhigte mich und alle anderen, wusch die Wunden mit kaltem Wasser aus, was die Blutungen stoppte. Die restliche Zeit der Wanderung hatte ich die Sympathie der Gruppe und es verbot sich von selbst, irgendwie rumzujammern.
Meinen Namen kannte nun jeder, aber ich musste noch mehrmals die anderen Namen nachfragen.
Unterwegs machten wir Halt an einem Wasserfall, sahen blühenden Ginster und Heide, eigentlich nichts Besonderes. Besonders war die Sonne, die sich von keinerlei Wolken vertreiben ließ. Wir beobachteten eine Bäuerin, die noch auf traditionelle Weise ihr Feld bestellte.

Wanderung in der Serra de Arga
Vegetation unterwegs

In Viana do Castelo zurück erkundeten wir die Stadt. Hier hatten wir den ersten Kontakt mit dem Atlantik. Ein grüner und ein roter Leuchturm standen am Ende der Mole, ähnlich wie bei uns in Warnemünde. Der Strand ist breit, sandig, ohne Steine. Einige wenige badeten. Ein recht idyllisches Fleckchen Erde!

Viana do Castelo
Strand
Kathedrale
Unser Hotel

Der nächste Halt führte landeinwärts in den charmanten Ort Ponte de Lima, eingebettet in eine malerische Flusslandschaft. Der Name der historischen Stadt geht zurück auf die römische Brücke aus dem 1. Jahrhundert, die den Fluss Lima überquert. Der Jacobsweg führt durch diesen Ort.

Ponte de Lima
Marktfrauen

Es war Sonntag, Markttag und die Stadt war voller Menschen. Märkte sind absolut mein Ding! Ich liebe diese unverbindliche Atmosphäre des Gebens und Nehmens. Schnell kam ich mit dem Mann, der Wein ausschenkte und kleine Köstlichkeiten anbot, ins Gespräch. Wobei Gespräch übertrieben ist, den ich spreche keine Portigiesisch und er sprach nur seine Heimatsprache. Was nicht weiter störte, es gibt die Körpersprache und die funktioniert immer. Wir lachten viel, tranken aus Bechern Vinho Verde, gekeltert in Lima, der gerade mal 1 € kostete und wunderbar süffig war. Inzwischen standen wir zu dritt und jeder wollte mir einen Wein spendieren. Ich fühlte mich zunehmend wohl, auch noch, als ich feststellte, dass ich die Gruppe verloren hatte.

Markt

Was mich nicht weiter beunruhigte. In einer kleinen Stadt findet sich alles wieder. Und so war es auch.
„Wo warst du denn so lange?“, wurde ich von meinem Reisebegleiter gefragt.
„Da hinten …“ , antwortete ich, zeigte in Richtung Fluss, immer noch mit dem süffigen Lächeln im Gesicht.
Die Menschen hier sind freundlich und aufgeschlossen, die Orte sehr sauber und gepflegt, zumindest hier im Norden. Der Reiseleiter wusste zu berichten, dass das auf viele EU-Gelder zurückzuführen sei. Immerhin, gut angelegtes Geld!
Die Abende klingen fast immer mit Vinho Verde aus, der anders schmeckt als der, den ich kenne.
Aber das brauche ich dir nicht zu schreiben oder erklären, liebe K., wie Urlaubsabende ausklingen :-)))!
Für morgen wurde eine mittelschwere bis schwere Wanderung angekündigt. Wie ich mich kenne, werde ich mir diese drei Stunden als Auszeit gönnen, durch den Ort bummeln, Kaffee trinken und mir später erzählen lassen, wie die Wanderung verlaufen ist.
In Vorfreude darauf sende ich
liebste Grüße aus dem heißen Portugal!

Reise nach Portugal (2)

(Fiktive Briefe)

Liebe K,
danke für deine schnelle Antwort. Der Umbau dauert also immer noch an?
Den Namen der Firma von der Sauna schicke ich dir. Es war eine russische Firma und wir sind nach wie vor sehr zufrieden. Alles funktioniert! Wasseranschluss im Garten haben wir noch nicht, die Gießkanne leistet gute Dienste. Gönnen wir den Nachbarn weiterhin etwas für Aug’ und Ohr!
Es freut mich, dass du mit mir ‚weiterreisen’ möchtest. Ich werde die Sehenswürdigkeiten nicht im einzelnen beschreiben. Stimmt, da hast du Recht, das macht jeder Reiseführer besser. Ich schreibe dir über das ‚drumherum’. Einverstanden?
Die Reise begann mit Verspätungen sowohl bei der Bahn als auch beim Flug, was zu Beginn gar nicht so aussah. Was soll’s!
Kurz vor Mitternacht empfing uns laue Luft in Porto. Im Hotel rechnete wohl keiner mehr mit uns, denn es dauerte sehr lange, bis endlich jemand kam und uns einließ. Der Portier war am Tresen etwas engenickt, was ja mal passieren kann, oder?
Dafür entschädigte ein sehr gutes Frühstücksbüffet! O-Saft- von mir gepresst, also 100% Frucht und das bei IBIS! Das Hotel lag im Centrum der Stadt und alles war gut erreichbar.
Der Start zum Stadtrundgang im Park war das erste Zusammentreffen der Gruppenmitglieder. Jeder stellte sich vor. Namen verstand ich teilweise nicht, da der Park direkt an eine Hauptstraße grenzte. Angelika und Karl-Heinz, Gisela und Günter- Namen deuten auf Jahrgänge, es passt also! Wir sind fast unter uns. Aber noch fremdeln wir.

Porto ist eine lebhafte Stadt mit sympathisch-marodem Charme, göttlichen Törtchen und süffigem Wein. Ich sage nur VINO VERDE!!!

Markthalle
Bahnhofshalle
Auf zum Fluss

Wir stürzten uns zu Fuß in das Getümmel der Stadt an der Mündung des Douro. Die schönsten Sehenswürdigkeiten wie die Kirchen Carmo und Carmelitas aus dem 18. Jahrhundert, den Glockenturm der barocken Igreja dos Clérigos, die gewaltige Kathedrale auf dem Stadthügel Penta Ventosa oder die Halle im Bahnhof São Bento mit ihrer aus 20.000 Kacheln bestehenden Bildergalerie versetzten uns ins Staunen. Immer wieder fanden wir kunstvolle Kacheln („Azulejos“), die die Fassaden der Gebäude schmücken. Sie sind nicht nur Dekoration sondern auch Schutz. Wir erhielten einen Einblick, wie diese meist blau bemalten Keramikfliesen hergestellt werden und welche Bedeutung sie einst hatten. Die Straßen und Wege sind mit Steinen aus Kalk gepflastert, was mir gut gefiel.

Straßenpflaster

Ebenfalls aus dem Stadtbild nicht wegzudenken ist das Gebäck „Pastéis de Nata“, kleine Blätterteigtörtchen mit einer cremigen Puddingfüllung. Ich bin kein Freund von Süßspeisen, am wenigsten von Pudding, aber diese Törtchen schmecken echt gut.

Eine weitere Spezialität der Stadt sind die Weinkellereien und eine davon besichtigten wir: Die preisgekrönte Weinkellerei Burmester!
Drei verschiedene Portweine probierten wir und erfuhren mehr über die Geschichte und Destillierung des beliebten Likörweins.

Zur Geschmacksneutralisierung wurde Schokolade gereicht, bittere und aus Vollmilch. Ich kannte bisher nur, dass zur Neutralisierungen bei Verkostungen Weißbrot oder Käse gereicht wurde. Der helle Portwein schmeckte mir am besten im Gegensatz zu den meisten anderen Verkostern.

Inzwischen war die Temperatur draußen auf 25 Grad gestiegen, fast schon unerträglich. Immerhin hatten wir am Tag zuvor schlanke 8 Grad! Von der Kellerei aus war die berühmte Brücke Ponte Dom Luis I gut zu sehen.

Der Weg vom Zentrum zum Hafen führt bergab und theoretisch irgendwann wieder bergauf. Ich plädierte auf dem Rückweg für die Standseilbahn Funicular dos Guindais und konnte auch den Gatten überzeugen.

Ein starker Kaffee war der nächste Wunsch, der in Porto überall erfüllt werden kann und auch wirklich gut und kräftig ist. Inzwischen waren wir knapp 10 km gelaufen und hatten uns eine Pause verdient.

In Portugal isst man nach 20 Uhr zu Abend. Wir hielten uns bei der Auswahl des Lokals an die Empfehlung des Reiseleiters. Ein Fehler! „Ihr könnt den Hauswein nehmen!“, hieß es aus der Gruppe. Auch keine gute Empfehlung! Nun, für den Rest der Zeit, wird es wie immer gemacht: nur in Restaurants, wo viele Einheimische und die voller Menschen sind, wird gegessen! Wir wissen es doch, warum hin und wieder Experimente?

Nach dem Essen liefen wir nochmals durch die Stadt. Inzwischen dunkel geworden, verströmte die Stadt mit ihrem Licht einen anderen Charme, den Charme eines Sommerabends. Sehr viele Menschen unterwegs, Kinder im Kinderwagen, bellende Hunde und immer wieder Strassenmusiker.

Wir beschlossen, in einem Strassenlokal noch Vino Verde zu trinken, den Tag Revue passieren zu lassen.

Wohlig und müde fiel ich später ins Bett und schlief sofort ein. Die Ohrenstöpsel klemmten die ganze Nacht fest zwischen dem kleinen und dem Ringfinger.

Du liest es, liebe K., Urlaub ist anstrengend!
Ich weiß, du würdest diese Anstrengung gern noch einmal mit mir erleben. Eine Gruppe brauchten wir dazu nicht, vermute ich, da würde uns auch nach so vielen Jahren etwas einfallen. Ob allerdings heute nochmals aus einem Tanzlokal die sonore Stimme des Sängers mit:
„Hallo, ihr Zwei!“ ertönen und dann L’AMERICANO gespielt würde? Ich bezweifle es stark. Deshalb geht nichts über Erinnerungen. Ich hoffe, du findest neben all der Arbeit auch etwas Zeit für dich.

Wie immer, liebste Grüße!

Reise nach Portugal

(Fiktive Briefe aus dem Urlaub)

Liebe K.,
wir haben lange nichts voneinander gehört und ich hoffe, dass es dir gut geht. Seid ihr noch beim Umbau des Hauses?
Immer wieder nahm ich mir vor, zu schreiben, aber du kennst mich ja. Theorie und Praxis!
In nächster Zeit werde ich dir des öfteren schreiben, denn eine längere Reise in den Süden ist geplant. Nicht auf die Insel Ischia, nein, nach Portugal.

Der Gatte wünschte sich einen Aktivurlaub und fand ein entsprechendes Angebot. Ob ich einverstanden sei, fragte er. Ja, ich schon, muss aber noch mit meinen Knien verhandeln, die ab und an nicht so wollen wie ich. Der eine Arzt sagt so, der andere so und der dritte meinte, solange ich bis zur Mole laufen kann, muss nicht am Knie rumgedoktert werden. Stimmt nicht ganz, der Weg zur Mole, ja, aber dass nichts gemacht wird, denn ein Übungsprogramm absolviere ich jeden Tag. Hilft nicht immer.
Heute morgen starten wir von W. aus mit dem Zug gen Frankfurt.

Das Packen war wie immer eine Herausforderung. Die Temperaturen im Norden sollen ähnlich sein wie hier, im Süden sommerlich warm. Regen gibt es natürlich auch, laut Vorhersage.
Weisst du noch, als wir in Amalfi auf dem Felsen lagen, die Sonne erbarmungslos schien, dich verbrannte? Wie wir dann in das Mittelmeer sprangen und weit hinausschwammen? Handtücher gereicht bekamen?Diesmal ist es der Atlantik, der rauer ist als das Mittelmeer und auch kälter. Das Handtuch wird der Gatte reichen.
Am Ende vergangener Reisen steht in meinem Tagebuch, worauf ich bei einer nächsten Reise achten sollte. Immer, wirklich immer, steht: keine weissen Blusen! Wegen Tomatenflecken und Vergilbung vom Sonnenschutz.
Ich ertappte mich, dass ich als Erstes die Blusen rausgelegt habe.
Es wird ein Wanderurlaub, Frau W., da brauchst du feste Schuhe und wetterfeste Kleidung! Aber um vom Norden in den Süden zu kommen, müssen einige Städte durchquert, kulinarisch und kulturell erkundet werden. Ohne die derben Wanderschuhe. Mit allen Sinnen. Natürlich in einer weissen Bluse, wisperte eine innere Stimme.
Zuhause verfolgt mich stets der Gedanke, dass wir tagsüber unterwegs sind und abends, frisch und schick angezogen, ein Restaurant aufsuchen. Was so gut wie nie passiert. Es wird meist auf dem Heimweg in einem Restaurant oder ähnlichem Halt gemacht. Dann geht es in die vorgesehene Unterkunft bzw. Hotel. Auch ein Absacker wird in Trekkingsachen eingenommen und der Tag mit anderen Reiseteilnehmern ausgewertet.
Bei diesem Reiseveranstalter gibt es kein Schickimicki, keine Luxusunterkünfte, dafür sehr gute Reiseleiter, meist offene und smpathische Reisegruppen.
Kurz innegehalten, als alles von der Liste abgehakt war, Bücher online und gedruckt, Ladekabel, alles da.
Erinnerst du dich auch daran?
Damals gab es die ersten Handys, ganz kleines Display und ich weiss gar nicht mehr, ob man damit fotografieren konnte? Auf jeden Fall schauten wir damals den Leuten ins Gesicht und sie uns auch. Wir kamen schnell ins Gespräch und so manche Einladung wäre nicht ausgesprochen worden, hätten wir immer auf das Handy geschaut. Wie hiess dieser süffige Rotwein? Der, den der Kellner verschüttete, du erinnerst dich?
Oh, ich schweife ab.
Sonne begleitet uns bis Hamburg und ich gestehe, es reist sich in der ersten Klasse besser, zumal es etwas Schokolade gibt für den Lieblingsgast. Bei der DB ist JEDER Lieblingsgast- allerdings nur in der ersten Klasse.
Hamburg naht. Mit der Stadt kommen die Wolken und ab Münster der Regen.

(Foto Michael Walden)

Das Essen, das bis Frankfurt reichen soll, ist kurz hinter Hamburg alle. Ein Kaffee wird serviert und von mir bezahlt. Schokolade und Kaffee wären als Geste zuviel. So ‚dicke‘ hat es die Bahn nicht.
Wie es aussieht, erreichen wir alles pünktlich, nicht so wie damals, als ich das Datum verwechselte und wir einen Tag eher hätten zurückfliegen müssen. Ich frage mich heute noch, wie das passieren konnte. Unaufmerksam! Das wäre die leichteste Erklärung, ehrlicher ausgedrückt:
Den Glücklichen schlug keine Stunde!

Ich melde mich wieder aus Porto. Vielleicht findest du Zeit für eine kleine Nachricht, sofern der Umbau des Hauses Zeit lässt.

Liebste Grüsse!

Pfandflaschen und Altpapier

Wir rennen zum Zug. Noch zwei Minuten bis zur Abfahrt- geschafft! Noch ist der Zug leer und wir setzen uns ans Fenster, werden aber nicht hinausschauen, sondern ein Buch aus der Tasche kramen. Vergessen! Ich habe mein Buch vergessen.
Ich sehe die Frau schon von weitem kommen. An jedem Abfallbehälter hält sie an, öffnet ihn, schaut hinein, nein, wieder keine Pfandflasche. Da ich ab und an mit dem Zug fahre, erkenne ich sie. Sie ist schmal, unauffällig gekleidet, hat zwei Stoffbeutel in der Hand. Noch sind sie leer. Wir lächeln uns kurz an, bevor sie weitereilt.
Der Zug ruckt an, fährt am Hafen vorbei Richtung Stadt. Nun, da ich kein Buch habe, kann ich mich in mein Gedankenkarussell setzen und meinen Erinnerungen überlassen.

Wie so oft, wenn ich die Flaschensammler sehe, überkommt mich ein eigenartiges, undefinierbares Gefühl aus Trauer, Scham, aber auch von Ausgelassenheit.
Auch wir lebten einige Zeit vom Sammeln der Altstoffe.
Es war in den sechziger Jahren, als wir vom Dorf in die Stadt zogen. Die Eltern waren gerade geschieden und wir fünf Kinder bekamen zusammen mit meiner Mutter eine neue Wohnung in der Kreisstadt. Es war eine Neubauwohnung mit fliessend warmem Wasser und Zentralheizung. Vom Dorf in die Stadt – von Kohleheizung zur Zentralheizung. Ein Glücksfall!
Die Wohnung auf jeden Fall, aber das Leben in der Stadt war nicht so einfach wie auf dem Dorf, wo jeder jeden kannte.
Der Bäcker und auch die kleine HO schrieben an, wenn das Geld knapp war. „Die Mutti bezahlt selber!“, sagten wir Kinder und bekamen die Lebensmittel auf Pump. Das war nicht ungewöhnlich und wir waren beileibe nicht die Einzigen, die anschreiben liessen.
Das fiel in der Stadt weg, denn dort gab es die ersten Kaufhallen. Nicht nur die Geschäfte fielen weg, nein, auch die Gärten in unmittelbarer Nähe des Dorfes. Nun fehlten auch die „selbstgepfückten“ BIO-Produkte aus fremden Gärten und von den Feldern wie Möhren und Kartoffeln. Schwierige Zeiten brachen an.
Wir hatten teilweise wirklich ganz wenig zu essen, bis meine Schwester die Idee hatte, Altstoffe zu sammeln. Eine Tätigkeit, die ich verabscheute und ablehnte. Schon in der 4.Klasse stand in meinem Zeugnis, dass ich eine liebe, stille Schülerin sei, aber bei den Altstoffsammlungen inaktiv! Als Junger Pionier sollte jeder für 5 Mark Altstoffe sammeln und mit Quittung in der Schule abgeben. Das schaffte ich nie. Wir lasen keine Zeitungen und getrunken wurde in der Kneipe. Also auch keine Flaschen.
Aus Glas.
Meine beiden Schwestern übernahmen es, bei fremden Leuten zu klingeln und zu fragen, ob sie Altpapier und Flaschen haben. Nach der Schule gingen sie los und sammelten soviel, dass es nach Abgabe auf der Annahmestelle meist für Brot und etwas Aufstrich am Monatsende reichte. Wenn es damals bei uns DIE ZEIT mit ihren 160 Seiten, die vielen anderen Illustrierten und die Weintrinker gegeben hätte, dann wären die Mahlzeiten üppiger ausgefallen.
Eine meiner Schwestern brachte eines Tages Lebensmittel nach Hause, die sie nicht vom Sammelgeld gekauft haben konnte. Keiner fragte nach, woher die kamen, trotzdem wussten wir, dass das Mädel geklaut hatte. Es war ihr einfach so unter die Jacke gerutscht, meinte sie, kann doch passieren, oder?
Wir lachten alle.
Meine Mutter arbeitete später als Kranfahrerin im Stahlwerk, schrieb für die Sächsische Zeitung kleine Artikel und die Alimente kamen regelmässiger, so dass sich die Situation verbesserte. Bei meiner Schwester und ihrer Freundin verirrten sich aber immer wieder Dinge unter den Jacken, die inzwischen nichts mehr mit Lebensmitteln zu tun hatten. Ganz plötzlich war es damit vorbei. Sie sagte nie, wer ihr ins Gewissen geredet hat.

Es bedrückt mich, wenn ich sehe, wieviele Menschen heute Flaschen sammeln, wie sie sich bemühen, ihre Armut zu verbergen. Es kostet Überwindung, im Müll anderer Menschen zu wühlen. Aber irgendwann wird die Scham von ihnen überwunden.
Auf der Rückfahrt ist es ein Mann, der nach Flaschen sucht. In den Abendstunden kommt meist mehr zusammen.
Seine Tragetasche ist heute schon gut gefüllt.

Nacktbader im März

Die Welt erscheint mir ungerecht.
Immer dann, wenn ich die Wettervorhersage sehe und erkenne, die Temperatur im Süden wird wieder satte 10 Grad höher sein als hier an der Küste.
Darauf muss ich mich einstellen, denn ändern kann ich es nicht. Der einzige Vorteil ist, dass „Dauergekühltes“ länger frisch bleibt.
Heute zeigt das Thermometer schlappe 3 Grad an, die im Laufe des Tages doch noch auf 5 Grad steigen werden. Ich radle morgens gegen 8:30 Uhr los.
Kein Mensch auf der Strasse, beim Bäcker kein Anstehen. Ich fahre durch den Park und treffe auf einen meiner Frühbader vom Sommer. Noch ist auch bei ihm die Saison nicht eröffnet. Ende April/Anfang Mai werden wir uns frühzeitig am Strand treffen. Erst einmal erzählt er von seiner Erkrankung, dem Versagen der Ärzte, klar, und wie schlecht es ihm in den letzen 5 Monaten erging. Was soll ich dazu sagen? Sein Monolog endet mit der Erzählung seiner Segelreise vor zwei Wochen um die Inseln der Seychellen, von der er gerade zurück ist.
Hä? Warum dann das Jammern?
Ich fahre weiter auf die Promenade, mache Halt am Strandaufgang 18, schliesse das Rad an. Eine andere Frühbaderin unterhält sich mit einer Gruppe Männer, die zum Strand laufen, als ich bei ihnen ankomme. Drei Mützen hat sie auf, mehrere Jacken an. Es ist einfach kalt. Aber sie geht das ganze Jahr über morgens baden – bewundernswert.
Diese Männer, die sich eben mit ihr unterhielten, seien aus Magdeburg und wollen auch baden. Wow !!! Das will ich natürlich sehen.
Am Wasser angekommen, sehe ich sie ins Wasser laufen, schreiend und quiekend, so wie man halt ins eiskalte Wasser geht. Ich fotografiere sie.

Als sie aus dem Wasser steigen, frage ich, ob es okay ist, dass ich fotografiert habe und biete an, ihnen die Fotos zu senden. Sie sind begeistert!
Nackt und von der Kälte rot, stehen sie vor mir und sind total zufrieden, dass sie sich getraut haben.

Wir kommen ins Gespräch, tauschen uns über alles mögliche aus, stellen fest, dass wir alle fast in einem Alter sind, ausser Zweien. Ein Männerwochenende war der Anlass für die Fahrt von Magdeburg nach Warnemünde und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie noch „Nachglühen“ vom Abend vorher. Wir lachen viel, freuen uns, dass wir diesen Augenblick zusammen erleben dürfen.
Eigentlich könnten wir uns doch wiedersehen, oder?
„Ja“, meint einer von ihnen „im Sommer in Bad Doberan. Da fahren wir jedes Jahr zum ‚Zappanale-Festival‘ in Memorian an Frank Zappa!“

„Nur, wie erkennen wir uns? Du wirst ja nicht die rote Mütze tragen“, fragt mich der nächste.
„Nein, eher nicht“, lache ich „aber ich könnte euch ausrufen und dazu das heutige Bild vom Strand auf die Leinwand projezieren lassen. Natürlich ohne die Emojis! Irgendeine Frau oder Mann wird euch dann schon erkennen!“
Ein Moment Stille, dann brechen wir wieder in Lachen aus.

Ausgeladen und willkommen

Polen hat unsere Landsmutter Ende Februar ausgeladen!
Frau Schwesig wurde der Staatsbesuch verweigert, weil ihre Besuchsankündigung innerpolitischen Protest auslöste. Polen hatte immer wieder Kritik an den Plänen zum Bau der Gasleitung Nord Stream 2 geübt. Schwesig hat sich in den vergangenen zehn Jahren stark für den Dialog zwischen Deutschland und Russland eingesetzt – und auch den Bau der stark umstrittenen Gaspipeline Nord Stream II unterstützt und stand deshalb für einen pro-russischen Kurs. Den dürfe Polen nicht vergessen und deshalb gab es Bedenken.
Es sollte der erste Auslandsbesuch der SPD-Politikerin Schwesig als Bundesratspräsidentin werden.
Die Reise wird nachgeholt.

Vorher besuchen wir die polnische Ostseeküste und sind sehr willkommen, so wie jeder deutsche Tourist willkommen ist.
Früher waren die niedrigen Kosten das Hauptargument für Ferien an der polnischen Ostseeküste. Nun sind die Preise deutlich höher, aber die vielen Gäste kommen weiterhin in Scharen. In Swinemünde, dem einzigen polnischen Seebad auf der Zwei-Länder-Insel Usedom, sind die Hotelpreise in den vergangenen fünf Jahren nach Angaben von einheimischen Touristikern am stärksten gestiegen – um etwa 40 Prozent.

Swinemünde ist das teuerste polnische Urlaubsziel. Zu manchen Zeiten im Jahr kosten Quartiere in den Luxus-Hotels dort sogar schon mehr als vergleichbare Ziele an der deutschen Ostsee.
Zur Wahrheit gehört aber, dass im Durchschnitt und aufs ganze Jahr bezogen auch Top-Hotels in Swinemünde immer noch viel günstiger sind als die an der deutschen Ostseeküste.
Für viele deutsche Gäste sind die Preise jedoch ohnehin nicht mehr Hauptkriterium für diese Reisen.
Es ist das Gesamtpaket. Die Hotels sind oft auf allerneuestem Standard, die Mitarbeiter sehr freundlich und auch die Stimmung in den Orten ist gut.
Unser Ziel ist der kleine Ort Misdroy. Man munkelt, dass dieser Ort die polnische Antwort auf Sylt sei oder gar Warnemünde?
Letzteres könnten wir herausfinden. Das erstere halte ich für ein Gerücht.
Misdroy, ein Seebad, liegt auf der Nordseite der der Insel Wolin. Früher war die heute 5500 Einwohner zählende Stadt ein kleines Fischerdorf. Nachdem man Solequellen gefunden hatte , entstanden Hotels, Pensionen und ein Kurpark. Besonders Vermögende zog es in diesen Ort. Noch heute sieht man gen Westen sehr schöne Villen, die aber zunehmend von riesigen Hotelkomplexen verdrängt werden.

Bei strahlendem Sonnenschein, 4 Grad, fahren wir in Warnemünde los. Es wird zunehmend diesiger, Wolken hängen tief und kurz vor Ankunft müssen wir feststellen:
Die Polen haben unsere Regenwolken gestohlen!
Grau in Grau und feucht begrüßt uns das Nachbarland und das soll auch die nächsten zwei Tage so bleiben. Die Wolken hängen tief und der Geruch der Kohlenheizungen ist allgegenwärtig. Fast hatte ich diesen Geruch vergessen!

Das Hotel liegt zentral im Ort mit Sicht auf die Mole. Wobei- die Sicht ist eingeschränkt durch viele Kioske und „Fressbuden“. Das ist ein auffälliger Unterschied zu Warnemünde, diese vielen Buden auf der Promenade.

Eingang Mole

Die bis zu 395 Meter ins Meer ragende Mole in Misdroy gehört zu den längsten in Europa.

Am Ende der Mole wurde eine spezielle Anlegestelle eingerichtet, an der Touristenschiffe festgemacht werden, die Misdroy mit Ahlbeck auf Usedom verbinden. Von der Mole aus erstreckt sich ein außergewöhnliches Panorama der Pommerschen Bucht.
Unser Hotel erfüllt alle Erwartungen, von Freunden empfohlen wegen sehr guter Küche und SPA-Möglichkeiten. Wir sind nicht unbedingt Freunde von Halbpension, aber in diesem Fall war es eine gute Wahl, da verschiedene polnische Spezialitäten angeboten werden.
Viele Restaurants und auch Geschäfte im Ort sind geschlossen. Wir sind in der Vorsaison! Wenige Menschen am Strand bzw. auf der Promenade. Der eisige Wind aus dem Osten vertreibt sie alle.
Unabhängig vom Wetter gibt es Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Am Strand weht der kalte Wind. Ein Spaziergang eher also nicht so gut.
Eine Attraktion wurde uns empfohlen: Besichtigung der Bunker aus dem 2.Weltkrieg. Eigenartiges Gefühl. Empfehlung? Wofür? Den nächsten, aktuellen Bunker?

Der Weg führt durch den Ort mit Abzweig in den Wald. Alles gut ausgeschildert. Wir kommen an einen Waldabschnitt, der mit Stacheldraht, völlig verrostet, eingegrenzt ist. In der Ferne sehen wir die ersten Bunker. Ein diffuses, unangenehmes Gefühl macht sich in mir breit. Durch die erhöhte Lage des Berges wurden hauptsächlich Betonbunker für die Luftverteidigung und den Küstenschutz gegen Angriffe von See gebaut. Diese Bunker werden nicht mehr gebraucht, aber die Entfernung würde hohe Kosten erfordern. Fast zwei Kilometer Weg der Militärarchitektur müssten entfernt werden.
Der Rundweg endet am Hafen, wo drei Schiffe am Strand liegen. Laufen sie aus?

Eher nicht.
Es ist einfach nur kalt und deshalb führt der Weg direkt ins Hotel in den SPA-Bereich. Whirlpool- Keimschleuder? Oder doch nicht? Entscheidung geht in Richtung ‚NICHT‘! Ich mag es, diese verschiedenen Düsen, das warme Wasser, das den Körper umströmt. Also keine Keime! Davon mal ab, ich denke, vieles findet in meinem Kopf statt und wenn ich glaube, es passiert, dann passiert es.
Heute, glaube ich, passiert nichts. Und – es passiert nichts!
Die Dampfsauna ist ein weiteres Highlight! Ich liebe diese feuchte Wärme! Zum Abschluss ins Schwimmbecken. Schööön! Auch das Abendbüffet mit vielen polnischen Spezialitäten überzeugt.
Die nächsten empfohlenen Sehenswürdigkeiten, inzwischen bei Sonnenschein, wie Bisonpark und Wachsfigurenkabinett oder der ‚Walk of Hand‘

besuchen wir und Unternehmen einen langen Strandspaziergang. Der Sand hier ist feiner, ohne Steine, andere Farbe, läuft sich ’schwerer‘. Ich sehe die kleinen Lachmöwen, bei denen hier das Füttern nicht verboten ist. Oder nur Unkenntnis? Es gibt sehr schöne Parks in Misdroy und auch der grosse Spielplatz in Nähe des Strandes und der Promenade ist sehr gut durchdacht. Einkaufen kann man natürlich auch:

Fachhandel

Im Ort gibt es viele Bausstellen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das überall dort, wo gerade Platz ist, eine Hotel oder ähnliches gebaut werden darf. Sehr grosse Hotelkomplexe entstehen in Strandnähe. Das kennt man hier bei uns an der Ostseeküste nicht, da wird schon auf Abstand geachtet bzw. ob so ein Riesenkomplex an den Strand, in die Landschaft passt.
Angebot und Nachfrage!

Hotelneubau

Die Hotels sind ausgelastet, der Service ist gut, warum also nicht noch mehr bauen?
Ich kenne mich in Polen nicht aus, finde es aber einfach zu ‚vollgebaut‘.
A b e r- ich habe nichts zu sagen.
Bin froh, hier an der mecklenburgischen Küste zu leben, wo die Uhren anders ticken.
Noch.

Verkaufskultur

Zu meinem letzten Beitrag gab es viele positive Rückmeldungen, nicht unbedingt hier auf dem Blog, aber in Gesprächen. Immer wieder hörte ich, dass man in unserem kleinen Geschäft für Herrenmode zufrieden war mit der Auswahl der Ware und dem Verkaufsvorgang überhaupt.
Daraufhin stellte sich die Frage, was für mich ein gutes Verkaufsgespräch und erfolgreiches Verkaufspersonal ist?
Ich war eine Quereinsteigerin, hatte wenig Kenntnis bzw. gar keine vom Verkauf. Es interessierte mich auch nicht.
Nach der Wende, als ich so ziemlich als Erste von meinem Betrieb, in dem ich in der Qualitätskontrolle und diversen Gutachterausschüssen tätig war, gekündigt wurde, stand die Frage: Was nun?
Mein Mann hatte 1984 das Bekleidungsgeschäft seiner Eltern übernommen. Es bot sich an, dass ich hier einsteigen könnte, obwohl das nicht mein Traum war. Im Nachhinein war es eine gute Entscheidung, da mir das Verkaufen und das Führen von Kundengesprächen lag. Ich absolvierte diverse Lehrgänge für Verkaufsgespräche, Dekoration mit Schreiben von Verkaufsschildern, einen für Warenkunde und fuhr auf Messen. Die Ware wählten wir gemeinsam aus.
Heute würde ich sagen, dass es zwei Dinge sind, die gutes Verkaufspersonal auszeichnet: Es muss den Kunden lieben und es muss die Ware lieben!
Ich lernte meine Lektionen für den Umgang mit Kunden nicht nur in Lehrgängen, sondern auch in der Praxis.

Es war November, kurz vor 18 Uhr, es regnete, der Wind pfiff um die Ecke und es war kalt. Ich war an dem Tage mental schon auf Feierabend eingestellt. Kasse war abgerechnet, zufrieden mit dem Umsatz war ich nicht, aber für dieses Wetter war er gut. Eine Viertelstunde vor Ladenschluss öffnete sich die Tür und ein grosser Mann trat ein. Dem Geruch nach zu urteilen und auch den kurzen Strohhalmen mit kleinen Lehmbrocken an den Schuhen, war es ein Bauer. Er trug eine Joppe, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Die Hose war ausgebeult und voller Flecken. Seine Miene finster, er grüsste kurz und schaute sich suchend um.
Ob er einen bestimmten Wunsch habe, fragte ich. Ja, meinte er, eine Jacke. Ich legte ihm zwei Jacken auf den Tisch, die er lange betrachtete. Ich nannte ihm die Vorzüge der Jacken für diese Jahreszeit, wies auf Besonderheiten wie das Material und zusätzliche Taschen hin. Als die Frage kam, unfreundlich, ob das alles sei, was ich anzubieten habe, legte ich ihm noch drei weitere Jacken auf den Tisch. Auch eine Lammfelljacke war dabei. Ich ertappte mich, dass ich nun weniger erklärte. Lange Zeit stand er nur da und schaute. Nach einer, für mich gefühlten, Ewigkeit nahm ich die Jacken und wollte sie wieder weghängen, dachte, der kauft sowieso nichts.
„Wollen Sie nichts verkaufen oder warum stehen Sie hier?“, hörte ich ihn fragen. Ich erschrak, hielt inne und schaute ihn an.
„Diese beiden nehme ich, die Lammfelljacke und den Parka!“
Völlig überrascht packte ich die Jacken ein, tippte den Preis in die Kasse und schaute ihn an. Es fiel kein Wort zwischen uns, als er bar bezahlte. Ich bedanke mich für den Einkauf, wünschte ihm Freude beim Tragen und einen schönen Abend, empfahl ausserdem, die Jacke mit Imprägnierspray einzusprühen.
Er antwortete nicht.
Der Umsatz für diesen Tag war nun richtig gut und ich hatte meine Lektion gelernt.
Vorurteile Kunden gegenüber waren ab jetzt tabu.

Nach einigen Wochen lernte ich die nächste Lektion.
Ein Ehepaar betrat den Laden, an deren Gesichter ich mich allerdings nicht erinnere. Die Frau sagte zu mir, dass ihr Mann neu eingekleidet werden soll. Das waren meine ‚Lieblingskunden‘, weil, ich gestehe es, der Umsatz dann meist gut war.
Ich weiss nicht, ob der Mann vom Dienst kam, aber er sah etwas ‚geschafft‘ aus. Arme hingen kraftlos herab, der Kopf gesenkt, insgesamt machte er einen lustlosen Eindruck. Sie sprachen nicht miteinander. Ich legte einige Kombinationen zur Auswahl auf den Tisch, die ich schon nach Farbe/Funktion zusammenegestellt hatte. Die Frau schickte ihren Mann in die Kabine zum Anprobieren. Er kam heraus und schaute in den Spiegel. Seine Schultern hoben sich, ein zartes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Die Hose saß, das Hemd gefiel ihm sehr und auch das Sakko kleidete ihn gut. Ich fragte, wie er sich fühlt und ob er passend zur Hose einen Gürtel möchte, was er bejahte. Wir lächtelten uns an und als ich mit dem Gürtel kam, er ihn einfädelte, schaute er zufrieden auf sein Spiegelbild und dann, ganz erwartungsvoll, zu seiner Frau. Genauso wie ich.
„Zieh aus, das steht dir nicht!“
Der Mann schaute sie völlig verdattert an, er verstand sie nicht, fragte aber nicht nach, was ihm nicht steht. Er ging in die Kabine und zog seine eigenen Sachen wieder an.
Das war meine zweite Lektion!
Künftig checkte ich sofort nach Betreten eines Kundenpaares an deren Gesten und Blicken ab, wer das Sagen in dieser Beziehung hat.
Meistens war es die Frau und ich sprach dann nur mit ihr, lobte den guten Geschmack ihrer eigenen Kleidung, machte ihr Komplimente. Über den Mann, dem eigentlichen Kunden, der meist daneben stand, sprachen wir in der dritten Person.
Diese beiden, verinnerlichten Lektionen erleichterten mir das Verkaufen.

Verkaufen war einfach, wenn man dem Kunden ein gutes Gefühl vermittelte, ihm half, das zu bekommen, was er brauchte, sich wünschte.
Es musste sozusagen für beide ein Gewinn sein, für den Kunden und auch für den Verkäufer.
Was es natürlich nicht immer war, denn jeder hatte sein Ego, was manchmal, ich drücke es mal so aus, im Zusammenspiel nicht so ganz harmonierte.

Der Kunde als Mann und König oder umgekehrt?

Vor mehreren Jahren, Anfang Februar, schlossen wir unser Bekleidungsgeschäft. Für immer! Nicht wegen Insolvenz, sondern einfach aus dem Grund, dass es ein Leben DANACH gibt, denn in einem Badeort ansässig, heisst, auch der Sonntag ist ein Verkaufstag. Eine gute Entscheidung! Dass Kunde nicht gleich Kunde ist, habe ich damals versucht, festzuhalten:

Also ich, ich mag die Kunden gern, geben sie mir doch das liebste, was sie haben: ihr Geld!
Ich betreibe ein mittelgroßes Herrenfachgeschäft in einer Kleinstadt, 2b Lage.
Hier herrsche ich! Über die Kunden.
In meinem Geschäft kann man nur Herrenbekleidung kaufen. Sicher, ich habe überlegt, auch Damenbekleidung zu führen, zumal die Damen dreimal soviel Geld für Bekleidung ausgeben! Aber der Umgang mit dem Mann als Kunden ist einfacher, denn er ist ein Bedarfskunde. Wenn er das Geschäft betritt, dann hat er einen Bedarf. Ihn treiben weder Langeweile noch Frust ins Geschäft, er will sich auch nicht amüsieren oder belohnen, weil seine Frau wieder fremdgegangen ist, er will nur schnell und unkompliziert bedient werden. Das unterscheidet ihn von Frauen.
Frauen kann man nicht bedienen. Sie muss man wühlen lassen!
Wenn Sie wollen, schildere ich Ihnen den Ablauf eines beliebigen Tages in meinem Geschäft und Sie urteilen selbst, ob der Kunde König oder ein Mann ist. Wäre Ihnen der 30. Februar recht?

„Kennen Sie diesen Anzug noch?“, fragte der erste Kunde nach Betreten des Geschäftes, zog seine Jacke aus und drehte sich vor mir im Kreise.
Ich erkannte weder Anzug noch Kunden.
„Guten Tag! Ob ich diesen Anzug kenne? Hm, ist schon eine Weile her, aber war nicht Ihre Hochzeit Anlass….“, überlegte ich laut, ohne mich im Entferntesten zu erinnern.
„Ja, ganz genau, stimmt, dass Sie sich daran erinnern! Vor 14 Jahren haben wir geheiratet und der Anzug passt mir immer noch. Da können Sie mal sehen, wie viele Stammkunden Sie haben!“, sagte er, grinste mich fröhlich an und verließ das Geschäft, ohne einen anderen Wunsch geäußert zu haben.

Wenn ein Mann zweimal dasselbe Geschäft betritt, unabhängig von den dazwischenliegenden Jahren, sieht er sich als Stammkunde und erwartet, wiedererkannt zu werden.
Betritt der Mann als Paar das Geschäft, muss ich innerhalb von fünf Sekunden entscheiden, wer das Sagen in dieser Beziehung haben könnte. Denjenigen, der nichts zu sagen hat, übergehe ich großzügig.

Gegen Mittag taucht der Michelsen mit seiner angetrauten Dompteuse auf. Er macht immer den Großkotz, dabei ist er nur ein kleiner Mitarbeiter in der Buchhaltung auf der Werft. Seine Gattin muss ihm abends die Zeitungsartikel erklären, damit es nicht auffällt, dass er von nichts eine Ahnung hat. Nebenbei managt sie Haushalt und Kinder. „Oh, hallo, Frau Michelsen! Wie geht es Ihnen? Sie haben Ihren Mann mitgebracht?“, rief ich durch den Verkaufsraum der Frau zu.
„Hallo Frau Brosius, mein Mann braucht eine neue Hose, inzwischen Größe 25!“, antwortet Frau Michelsen und winkt mir zu.
„An was dachten Sie denn? Eine klassische Wollhose oder eine sportive Chinos?“
„Wir brauchen eine neue Baumwollhose und pflegeleicht soll sie sein, weil wir immer kleckern, nicht, Karl-Heinz?“, bemerkte sie in Richtung ihres Mannes. Ich legte drei Hosen auf den Tisch. Der Mann hatte noch keinen Ton von sich gegeben, schaute nur, nahm die Hosen und verschwand in der Kabine.
„Mein Mann hat heute frei und ich sagte zu ihm, dass wir mal etwas ganz Aufregendes zusammen unternehmen könnten. Deshalb sind wir bei Ihnen. Toll, nicht?“, meinte sie zu mir. „Und? Wie isses? Passen die Hosen? Wie lange brauchst du denn, die Hosen anzuprobieren? Nun komm endlich heraus, damit ich gucken kann!“. Sie riss den Vorhang zurück. Karl-Heinz kam breitbeinig aus der Kabine, Schweißtropfen im Gesicht und warf einen unfreundlichen Blick auf seine Frau.
„Wie du wieder dastehst! Als hättest du eingemacht! Steh gerade! Die hier, die sieht gut aus, gefällt sie dir? Kannst dich wieder anziehen, die nehmen wir!“, legte sie kurzerhand fest.
„Bezahlen Sie bar oder mit Karte?“, fragte ich leise.
„Kannst du auch mal antworten, Karl-Heinz?“, rief Frau Michelsen laut in die Kabine. Jetzt sagen Sie selber: König?

Dann tauchte Herr Petersen auf, ein Mann in den besten Jahren! Herr Petersen kauft grundsätzlich allein.
Er streckte mir schon von weitem seine Hand entgegen, damit ich seinen neuen Siegelring registrierte. Auf dem Zeigefinger! Ich ertappte mich, wie ich lange auf die Hand mit den kurzen dicken Fingern starrte und dabei fast vergaß, ihn zu begrüßen. Seine Haarfarbe hatte sich auch geändert, von dunkelblond in pissblond.
„Hallo Herr Petersen, wie geht es Ihnen? Sie sehen fantastisch aus! Irgendwie frischer, ich komme mal eben grad nicht drauf, w a s die Veränderung ausmacht?“, lachte ich ihn schließlich an.
Er reagierte wie immer.
„Ich möchte eine Hose in Größe 48!“
„Größe 48?“, wiederholte ich laut. Er hatte sicher irgendwann in seinem Leben in die Größe 48 gepasst, vielleicht vor 20 Jahren, als er konformiert wurde.
Ich griff ins Regal, nahm eine Hose Größe 25 heraus, riss das Etikett unauffällig ab und reichte sie Herrn Petersen in die Kabine.
Er kam mit der Hose auf dem Leib heraus und sagte zu mir, triumphierend:
„Na, sehen Sie, passt doch, sitzt wie angegossen, die Größe 48!“, bezahlte und verließ Geschäft.

Am späten Nachmittag betrat der Herr Deilmann den Laden. Er war ewig nicht hier gewesen.
Vor ca. acht Jahren, kurz nach dem Geschäftsumbau, kam er das erste Mal zu mir.
Herr Deilmann und seine Lebensabschnittsgefährtin waren in ein Gespräch vertieft, als sie damals das Geschäft betraten. Sie sahen niemanden. Sie sahen nur sich. Sie sprachen nur miteinander. Das Verkaufspersonal existierte nicht.
Sie waren ein so schönes Paar, beide etwa Mitte dreißig. Er, groß und schlank, dichtes, dunkles Haar, das vereinzelt mit dekorativen grauen Strähnen durchzogen war, modische Brille, weiße Zähne, die blitzten, wenn er lachte. Er lachte seine Partnerin oft an. Sie, Frau Schörfel, war einen Kopf kleiner als er, hatte hellbraune, lange Haare und gletscherblaue Augen. Ihre Zähne waren schneeweiß und perfekt gewachsen.
Sie war Zahnärztin von Beruf, wie ich später auf der Visitenkarte las, die sie diskret auf den Kassentisch legte, als sie bezahlte. Sie bezahlte immer.
Dieses Paar umgab eine Aura, die ein Gespräch fast unmöglich erscheinen ließ.
Sie akzeptierten nur Chefbedienung!
Alles, was ich ihm empfahl, passte und gefiel sowohl ihm als auch ihr.
Die beiden folgenden Male kam Frau Schörfel noch mit, später kaufte er allein.
Mit ihrer Kreditkarte.
Im Laufe der nächsten Jahre wechselten die Frauen an seiner Seite, sie wurden immer jünger. Die Kreditkarte, mit der er bezahlte, trug nun seinen Namen. Zwischen uns hatte sich Vertrauen aufgebaut, er vertraute mir bei der Auswahl blind, auch weil er farbenblind war.
Das letzte Mal kam er allein, probierte alles an, was ich ihm zeigte, fühlte sich sichtbar wohl und meinte dann, seine Freundin müsse die Auswahl noch begutachten. Die neueste Freundin von ihm rauschte ins Geschäft, musterte mich von oben bis unten und zurück.
„Und? Wie findest du das Sakko?“, fragte Herr Deilmann und führte ihr ein schwarzes Sakko vor.
„Willst du zur Beerdigung? Das Teil ist doch total altmodisch und bestimmt ein Ladenhüter! Und wer trägt denn noch schwarz?“, rief sie.
Wir starrten alle auf die schlanke, junge Frau im schwarzen Mantel, schwarzer Hose und schwarzen Stiefeln. Das lange blonde Haar hatte sie mit einem schwarzen Tuch zurückgebunden, so dass sie noch blasser wirkte. Ihre Augen waren schwarz umrandet, was ihr einen dramatischen Ausdruck verlieh.
Keiner sagte ein Wort. Er zog das Sakko aus. Die Freundin merkte, dass die Stimmung umgeschlagen war und meinte zu ihm:
„Warum kaufst du dir keine neue Jeans? Deine alte sieht schlimm aus und ist völlig unmodern. Du hast doch neulich Abend auf der Party bei Marie-Louise gesehen was Jean-Luc jetzt trägt!“
„Gut, dann probiere ich eine Jeans. Was meinst du, soll ich gleich eines von den Shirts dazu anziehen, diese neue, schmale Form?“
„Ja, mach mal!“, antwortete sie.
Ich suchte die Jeans in seiner Größe raus. Die Freundin schaute auf die Hose und meinte zu mir:
„Das ist doch nie seine Größe! Er hat keine 33/34 sondern eine 30/34! Ein Shirt in Größe L ist ihm viel zu groß! Das müssen Sie doch sehen!“, empörte sie sich.
Sie reichte ihm die neue Größe und das Shirt in Größe M in die Kabine.
Wir warteten. Dann kam er endlich aus der Kabine.
„Was ist das denn? Du hast ja überhaupt keine Schultern! Und dreh dich mal um! Weißt du, wie du von vorn aussiehst? Wie ein Mädchen! Da ist nichts, gar nichts!“, schrie sie laut auf und lachte hemmungslos.
Er verschwand in der Kabine, zog sich um, legte sämtliche Kleidungsstücke auf den Tisch und lief grußlos aus dem Geschäft.
Das war vor fast drei Jahren.
Nun war er wieder da. Der Stammkunde!
Ich schaue ihn fragend an.
„Hallo Frau Brosius, Sie haben sich gar nicht verändert!“, eröffnete er das Gespräch, als hätten wir uns gestern das letzte Mal gesehen. Freundlich ist er immer noch, das musste ich ihm lassen. Ich hatte mich verändert! Das Breitenwachstum hat natürlich nicht vor mir halt gemacht.
„Wir machen es wie immer, Sie stellen mir ein aktuelles Outfit zusammen, okay?“
„Ja, natürlich, wie immer!“, lächelte ich.
Während ich die Sachen aussuchte, hörte ich, wie jemand: „Hemd!“, bellte und drehte mich erschrocken um.
Ein kleiner, dicker Mann, hoch wie breit, Halsweite mindestens 47, Konfektionsgröße 28 stand in der Mitte des Raumes und schaute grimmig zu mir.

„Guten Tag“, sagte ich, „Sie möchten ein Hemd?“
„Hemd!“, kam als Antwort.
„Ja, ich weiß, aber was für ein Hemd möchten Sie denn? Langer oder kurzer Arm?“
„Hemd!“, kam es wieder von ihm. Er war wohl im Stadium Jäger und Sammler stehengeblieben, dachte ich und legte ihm mehrere Hemden der Firma SACKNUM in XXL vor.
„Is‘ kein gelbes Hemd da? Ich will ein zitronengelbes Hemd!“, blökte der Kunde,
„Und dann habe ich auch die Größe M!“
„Tut mir Leid, zitronengelbe Hemden in Ihrer Größe M habe ich im Moment nicht da!“, beeilte ich mich zu sagen.
„Was is‘n das für ’n Saftladen, nicht mal ein gelbes Hemd in meiner Größe haben die hier!“, totterte er und ging hinaus. „Gott, was Sie für Kunden haben, Frau Brosius! Ich probiere dann mal die Sachen an.“, sagte Herr Deilmann und verschwand in der Kabine.
Stimmt, einige Kunden sind total bekloppt, dachte ich und drehe mich vor dem Spiegel, öffnete dabei einen Knopf meiner weißen Bluse und lächelte meinem Spiegelbild zu.

Die Tür öffnete sich erneut und ein Mann mittleren Alters kam herein. Es war Herr Schröter, ein Stammkunde im Gucken!
Sein Haar war halblang, stark gegelt, dunkle, wache Augen beherrschten das Gesicht, sein Mund war schön geformt, hochmodische Kleidung, trug einen Siegelring am rechten kleinen Finger und auch die Uhr rechts. Zu seinem Selbstbewusstsein fehlten ihm lediglich 15 cm Körpergröße, was ihn manchmal aggressiv machte. Er erschien regelmäßig im Geschäft, probierte alles an, kam dabei nie aus der Kabine, sondern legte mir nach jeder Anprobe den Berg Klamotten auf den Tisch und meinte, es gefiele ihm nichts, sitzt zwar alles wie angegossen, aber gefiel nicht!
Er hatte noch nie etwas gekauft.
Ich löste meinen Blick vom Spiegel.
„Na, Herr Schröter, was für Wünsche haben wir denn diesmal?“, fragte ich mit gespitzten Lippen.
„Socken! Heute brauche ich nur Socken, zwei Paar!“, meinte er und wippte vor mir auf und ab.
Ich legte sie ihm hin, tippte den Preis ein, während er wie nebenbei fragte:
„Wie isses mit nem Rabatt? Ich komme doch regelmäßig zu Ihnen!“
Ich richtete mich auf, blickte von oben auf ihn herab:
„Wie es in Rabat ist? Keine Ahnung. Ich war zuletzt in Saigon!“
Er schaute mich verdutzt an und verließ rückwärts das Geschäft. Ich wandte mich wieder Herrn Deilmann zu, der aus der Kabine kam. Es passte alles wunderbar, trotzdem er etwas zugelegt hatte. Sein Haar war inzwischen ganz grau, aber auch das stand ihm hervorragend.
„Finden Sie die Hose nicht etwas zu eng?“, fragte er mich.
„Nö, passt doch gut. Über die Länge könnte man diskutieren, vielleicht einen Tick zu lang. Aber nach der ersten Wäsche wird sie genau richtig sein. Nein, ich finde, es passt und steht Ihnen alles wunderbar!“
Wie schon vor drei Jahren zeichnete sich nichts ab, er sah von vorn immer noch aus wie ein Mädchen!
Sein Handy klingelte. Er blickte entschuldigend zu mir und verschwand in der Kabine.
„Ja?…hmm…nö…ach,wirklich?…jetzt??…muss das sein?…ja… nicht schon wieder…jaaaaa…okay, einverstanden!…mach’s gut!…“, war das einzige, was ich verstand, trotzdem ich bei fremden Gesprächen grundsätzlich nie zuhörte.

„Hallo, wie geht es Ihnen?“, rief mir die nächste Kundin zu, als wären wir die besten Freundinnen. Ich erkannte in ihr die junge Freundin des Herrn Deilmann von vor drei Jahren, die mich damals wie Luft behandelt hatte und war erstaunt.
„Und? Was habt ihr ausgewählt?“, redete sie weiter.
Was habt i h r ausgewählt, dachte ich, das sind ja ganz neue Töne!!
Er zeigt ihr die Kleidungsstücke, die er kaufen wollte. Gottseidank trug er die neue Hose nicht, sondern sie lag auf dem Tisch.
„Klasse, das sind ja richtig modische Sachen, gefällt mir und steht dir bestimmt alles gut. Schatz, gibst du mir mal dein Portemonaie, nebenan im Schuhladen habe ich meine Traumschuhe gesehen, bitte, bitte!“, und spitzte dabei den Mund zu einem imaginärem Kuss.
„Nein! Nein, ich habe keinen Bock, schon wieder deine Schuhe zu bezahlen. Du verdienst dein eigenes Geld!“, antwortete er ziemlich aggressiv.
Wir schauten beide verblüfft auf Herrn Deilmann, seine Freundin genauso wie ich.
Ein Stammkunde mit Charakter! Bewundernd sah ich ihm nach, als er das Geschäft verließ.
Er war der letzte Kunde an diesem Tage.

Und? Jetzt frage ich Sie: Ist der Kunde König? Bei mir schon. Oder etwa nicht?
Manchmal müsste er mehr Mann sein, aber wer ist schon vollkommen?

Zugreise mit Bodo K.


Eine Kurzreise nach Hamburg ins Kunstmuseum steht diese Woche auf dem Plan. Das Deutschlandticket kommt damit auf einer längeren Strecke zum Einsatz. Frau Schwesig, unsere Landesmutter, sorgte dafür, dass alle Rentner in MeckPomm nur 29€/Monat dafür zahlen. Das gilt es auszunutzen, da keiner weiß, wie lange das die Landeskassen hergeben.
Anlass ist die Ausstellung zum 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich in diesem Jahr. Mit Informationen über ihn wurden wir schon ‘zugeschüttet’. Nun gilt es, die Bilder aus dem Kopf in ‘echt’ zu sehen.

Ich mag es, mit dem Zug zu fahren, zu sehen, wie die Landschaft vorbeifliegt, genauso wie die Gedanken davonfliegen.

Das einlullende Geräusch der Räder weckt eine Erinnerung. Vor Jahren fuhr ich im Zug von Köln nach Rostock. Völlig aufgelöst und außer Atem saß ich im Abteil, da ich den Zug gerade so erreicht hatte und überlegte, ob ich erst etwas essen oder gleich in meinem SCHUNDROMAN von Bodo Kirchhoff weiterlesen sollte.

Der Hunger siegte.
Mir gegenüber saß ein Mann, der in einem Buch las, dessen Einband mir bekannt vorkam. Tatsächlich!
Auch er las den SCHUNDROMAN! Eine gute Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen. Wir beäugten uns, fanden uns sympathisch. Im Laufe der nächsten Stunden sprachen wir über das Buch, über den Schreiber und über alles möglich Andere. Ich erinnere mich an eine kurzweilige Zugfahrt von knapp sechs Stunden.
Wochen später trafen wir zufällig in der Stadt aufeinander und diese unverbindliche Vertrautheit war sofort wieder da. Inzwischen war ein weiterer Roman ‚Die Liebe in groben Zügen’ erschienen, den wir unbedingt besprechen sollten, oder? Unbedingt.
Dieser Austausch fand nun bei einem Glas Wein in anderer Umgebung statt, ohne dass die Landschaft am Fenster vorbeiflog. Eine leichte latente, erotische Spannung baute sich auf, was auf den Inhalt des Buches zurückzuführen war, vermutete ich. Der Roman umfasst fast 700 Seiten. Es brauchte mehrere Treffen, um das Buch richtig zu verstehen.
Zu einer dritten Buchbesprechung kam es nicht, da mein Gegenüber nach Zürich zog. Er hatte eine europaweit ausgeschriebene Stelle in der forensischen Abteilung an einem Institut erhalten.
Schade- sein Weggang, nicht die neue Stelle.

In diesem Januar erschien ein neuer Roman von Bodo K. mit dem Titel ‘Seit er sein Leben mit einem Tier teilt’. Ich kaufte es sofort und habe es bei dieser Bahnreise dabei. Ganz klar.
Auf Nachfrage in der Frauengruppe, wer den Roman schon gelesen habe, kam zweimal der Hinweis, dass sie von ihm nichts mehr lesen, da Bodo K. arrogant sei. Frage stand, ob sie ihn persönlich kennen? Natürlich nicht, hatten es aber gehört. Von wem?
So entstehen Gerüchte!

Dieser neue Roman ist wie eine Offenbarung. Für mich.
Vier Tage aus dem Leben eines Witwers kurz vor seinem 75. Geburtstag, früher Schauspieler, der an einem See allein mit seiner Hündin lebt und Besuch bekommt von zwei Frauen, die Tochter und Enkelin sein könnten.

Durch ihre Anwesenheit und Fragen verändern sie seinen Blick auf sein Leben und seine Vergangenheit.
Der Journalistin, die ihn für einen Beitrag interviewen will, fühlt er sich sehr verbunden, stellt sich vor, was wäre, würde es zu einer engeren Verbindung kommen. Die junge Bloggerin, deren Wohnmobil streikte und sie unfreiwillig bleiben ließ, lässt ihn sein Alter spüren, weckt Sehnsucht. Als dritte Frau taucht später die Mutter der Bloggerin, Moderatorin einer Fernsehsendung, auf, unerwünscht von der Tochter und ihm.
Was dieses Buch für mich so interessant und lesenswert macht, ist die gefühlvolle Sprache, die selbstreflektierenden Gedanken, die Erinnerungen an seine Zeit als Schauspieler in Hollywood in typisch deutschen, nicht unbedingt sympathischen Rollen, der Umgang mit der Hündin und vor allem die Erinnerungen an die Zeit mit seiner Frau, einer erfolgreichen Tierfotografin. Seine Analyse und der Bezug zu seinem jetzigen Leben faszinieren mich.
Ein Buch, das ich immer wieder weglege und mich meinen Gedanken überlasse, innerlich abgleiche.
Das zarte Nähern an die Journalistin, seine Sehnsucht nach einem Menschen, der ihn tief in seinem Inneren erkennt, lässt bei mir die Frage aufkommen, ob auch ich das wirklich wollen würde, ein Blick in Abgründe, fremde und die eigenen?
Es ist nicht einfach, dieses Buch in Worte zu fassen.
Noch habe ich es nicht ausgelesen, teile es mir in ‚Lese-Rationen‘ ein, um das Lesevergnügen zu verlängern.

Hamburg naht und damit steigt die Vorfreude auf zwei erlebnisreiche Tage. Getrübt nur durch die kurzfristige Ansage:
Streik des öffentlichen Nahverkehrs!
Der Alltag holt mich schnell ein. Immer.

Wünsche im Januar

Der Januar kommt in diesem Jahr sehr nass daher. Zum Jahresbeginn Überschwemmungen, Stürme an der Nordsee, Schneechaos im Süden und nun sind die nächsten Orkanböen mit Windgeschwindigkeiten bis 80km/h angekündigt bzw. schon aktiv. Dieses Sturmtief heisst „Isha“ und kommt von Irland. In diesem Jahr haben die Sturmtiefs weibliche Vornamen, also nicht nur Gudrun oder Gisela sondern international wie jetzt Isha.
In unserer Strasse pfeift der Wind seit gestern besonders stark, denn der ‚Baumfriseur‘ war da und hat alle Linden beschnitten.

Neulich ploppte das Handy auf mit Hinweis auf, dass die Enkeltochter demnächst Geburtstag hat. Das hatte ich fast verdrängt. Sie wird 14 Jahre alt und es ist kein leichtes Alter. Für sie nicht und für alle anderen auch nicht.
Wann genau die pubertäre Zeit begonnen hat, weiss ich nicht, da wir weit auseinander wohnen und der Kontakt nicht mehr so eng ist. Zum Geburtstag wird er meist wieder enger. Nachdem ich zum dritten Mal geschrieben hatte, was sie sich wünscht, kamen einige Vorschläge. Unter anderem ein Sweatshirt, oversize. Warum oversize, wenn sie schlank und gross ist? Diese Grösse ist eher meinen Freundinnen und mir vorbehalten, da wir inzwischen eine „Maikäfer-Figur“ haben. Starke Mitte und dünne Gliedmaße!
Das Angebot an Sweatshirts ist riesig und ohne genauere Hinweise ausser Grösse war ich überfordert.
Irgendwann wurde ich fündig und hätte das Shirt gern an einem Mädchen gesehen. Ich sprach einfach ein junges Mädchen an, das in etwa die Grösse hatte, ob sie das Shirt probieren würde und ich ein Foto (ohne Gesicht!) schiessen dürfte. Es war ein ukrainisches Mädchen und wir hatten ein Sprachproblem, konnten es aber schnell klären. Dann kam der Vater des Mädchens, alles nochmals erklärt mit Händen und Füssen. Er war einverstanden, brauchte aber die Einwilligung seiner Frau, die irgendwo unterwegs war. Er konnte das nicht allein entscheiden. Die nächste Hürde war, eine Umkleide zu finden. Irgendwann lernt jede Frau, dass man ganz schnell etwas überzieht, ein kurzer Blick in den Spiegel und man weiss: ja/ nein! Ohne Umkleide.
Ich zeigte die Fotos dem Mädchen und Vater – die Mutter war schon wieder im Geschäft unterwegs- sie waren einverstanden, dass ich das Foto zwecks Entscheidung an die Enkelin schicken darf. A b e r – Senden nicht möglich! Mein monatliches Highspeed-Volumen war aufgebraucht und nun senden nur mit 64kBit/s bis Monatsende, wenn ich unterwegs bin. Irgendwann wollte ich meinen Vertrag mit 6,99€ monatlich ändern, aber er diszipliniert mich und reicht völlig aus.
Ausser bei Senden von Bildern mit Oversize-Shirts.
Auf dem Weg zum Ausgang kam ich bei Globetrotter vorbei und dachte, wenn ich schon Mal hier bin, kann ich nach Treckingschuhen schauen. Während ich unschlüssig vor der Auslage stand, verschiedene Paar Schuhe in die Hand nahm, hörte ich, wie jemand mit Akzent sagte, dass ich genau die probieren soll. Ich drehte mich um und sah einen Mann auf dem Boden hockend in einem Stapel Schuhkartons wühlen, die er sortierte. Ein kahler Kopf mit lustigen Augen und einem verschmitzten Lächeln schaute mich von unten her an. Ich lächelte zurück und probierte die Schuhe. Dabei kamen wir ins Gespräch und wieder war es ein Ukrainer. Während der Anprobe erfuhr ich, dass er seit einem Jahr hier arbeitet und inzwischen alle anfälligen Arbeiten macht. Auch das Kassieren! Die Schuhe passten gut, Farbe gefiel mir, ausreichend gepolstert und sehr stabil. Nur der Preis!
Der Preis irritierte mich und ich suchte nach Fehlern. Der Preis war niedrig, sehr niedrig! Nun kam der Ukrainer richtig in Fahrt, sagte, dass es ein Rücklaufmodell sei und die Garantie nicht lebenslang sondern nur ein Jahr gilt. Der Original-Schuhkarton fehlt auch. Zwei Dinge, mit denen ich leben kann. Nachhaltigkeit und Recycling! Oder so ähnlich.
Zuhause angekommen, schickte ich der Enkelin den Vorschlag und warte seitdem auf eine Antwort. Meine Schuhe zog ich sofort an und lief durchs Haus. Zufrieden liess ich mich in den Sessel fallen lassen, kleines Getränk in der Hand, Beine hoch und Blick auf die Schuhe.

Alles richtig gemacht!

In der Sauna, hier und dort

Wir haben Winter, es ist kalt, es wird zeitig dunkel, die Strassen sind glatt, der Himmel meist bewölkt und doch empfinde ich diese Zeit als angenehm. Einfach deshalb, weil es eine Sauna gibt. Ein Ort, wo ich von Wärme umhüllt werde und den Erinnerungen freien Lauf lassen kann.

Geschafft!
Mein Gesicht glühte, die Haare im Nacken und an den Schläfen waren ganz feucht und ringelten sich. Der Schweiß lief zwischen meinen Brüsten nach unten, wurde vom T-Shirt aufgesaugt. Ich transpirierte gleichmäßig aus allen Poren. Dadurch roch mein Schweiß nicht. Man konnte fast von einem harmonischem Tropfenfall sprechen.
440 kcal verbraucht in 25 Minuten, gut gemacht!
Ein klasse Gefühl, die eigene Trägheit überwunden zu haben, obwohl ich keine Lust hatte, überhaupt in das Sportstudio zu gehen. Sollte ich weitermachen? Die große, leicht beschlagene Fensterscheibe warf mein diffuses Abbild zurück. Solange es draußen dunkel war, konnte man sich im Fenster spiegeln. So schlecht war ich nicht in Form! Zum Abschluss wollte ich noch kurz auf dem Stepper trainieren.
Besetzt, der Stepper war besetzt mit diesem Adonis! So wie dieser Mann ausschaute, war das Gerät länger besetzt. Ich bemerkte, wie er auf die leicht beschlagene Fensterscheibe starrte, sein Abbild sah. Er konnte sich nicht losreißen von seinem Anblick! Doch wie wir alle sah auch er sich unscharf in der Fensterscheibe.

Dann schaute er sich verstohlen um, ob die junge Trainerin registriert hatte, wie lässig er trainierte. Nein, hatte sie nicht, sie unterhielt sich die ganze Zeit über mit einem anderen durchtrainierten Mann, der sie immerzu berührte. Wie zufällig. Sie lächelte in meine Richtung, dieses verstehende Lächeln unter Frauen, die genau spüren, was in einem Raum abläuft. Ich lächelte zurück.
Mir blieb also an dem Tage nur die Sauna. Unter der Dusche überkam mich ein Anflug von Bedauern. Hätte ich nicht doch weitermachen sollen? Ich hätte doch an ein anderes Gerät gehen können?
Der Temperaturwechsel unter der Dusche überzog meine Haut mit heißkalten Nadelstichen und gab mir das Gefühl von Straffheit. Ich hätte vor Fitness zerspringen können!
Die Dampfsauna war leer. Ich stieg hinauf und setzte mich auf die oberste Stufe, bekam Gänsehaut, ein Phänomen, das ich immer beobachte. Große Hitze auf meinem erhitzten Körper verursacht Gänsehaut.
Ich entspannte, merkte, wie sich die Gänsehaut glättete, die Brustwarzen weich wurden.
Ich schloß die Augen und glitt gedanklich weg in eine andere Sauna, auch eine Dampfsauna, eine sogenannte Natursauna. Alles dort ist ursprünglich, einfach.
Ich schreite durch eine Art durchlässige Gummiwand und taste mich auf die Steine, weil die Beleuchtung sehr schwach ist. Zu Anfang sehe ich so gut wie nichts, was den Gang unsicher macht. Die Sitzgelegenheiten sind aus dem Berg gehauene Felsbrocken, rau und mit Spalten versehen, aus denen die heißen Wasserdämpfe, mit Schwefel vermengt, dringen. Es ist eine andere Hitze, anderes Wasser, das meine Haut weich und samtig macht.
Ich streiche das perlende Wasser von meinem Körper, bleibe manchmal in meiner Mitte hängen, reibe, fühle die Erregung. Mir wird dann noch heißer und ich fühlte auch damals in der Sauna des Sportstudios, dass mich diese Welle überrollen könnte.

„….hat der Malte der Swantje das Holzauto auf den Kopf gehauen und ich schrie ihm zu…..“
„Neeeeeiiiiiiiiin!! Um Gottes willen, mit dem schönen Holzauto, das ich dem Malte von der Ökogartenschau mitgebracht habe?“, hörte ich plötzlich Stimmen und öffnete träge meine Augen.

Zwei dieser spätgebärenden Frauen kurz vor Mitte vierzig betraten die Dampfsauna. Bei ihnen hatte das Breitenwachstum eingesetzt und ich wusste aus Erfahrung, gleich würden sie über ihre vergeblichen Versuche, abzunehmen und die göttlichen Geschöpfe, ihre Kinder, bei denen bisher keine der gängigen Erziehungsmethoden angeschlagen hatte, erzählen, laut erzählen und ich hätte ihnen gerne zugerufen, ach, seid doch still, lasst euch von der feuchten Wärme einlullen, denkt an etwas Schönes, aber seid doch einfach still!
Fast gleichzeitig erblickten sie mich auf der obersten Stufe, warfen mir einen flammenden Blick zu oder das, was sie dafür hielten. Normalerweise hätte ich damals wie ein Stück Holzkohle die Stufen runterpoltern müssen.
Ich drehte mich etwas weg, schloss meine Augen, hörte, wie sich die Tür schloss.
Ich kehrte in meine virtuelle Sauna zurück und strich real mit meiner Hand über meinen Bauch, strich den Wasserfilm weg, immer weiter abwärts.

Frohes Fest

Bevor der Karpfen im Ofen verschwindet und ich das Kochen als Spontanurlaub am Herd geniesse, möchte ich allen ein frohes Weihnachtsfest wünschen und DANKE sagen für die Rückmeldungen, das Interesse überhaupt an meinen Beiträgen.

D ankbar

A chtsam

N ützlich

K ostbar

E infühlsam

Kommt gut ins neue Jahr und freut euch auf das, was es bringen wird. Das, was keine Freude macht- schnell vergessen! Jutta

Das Leben wird nicht leichter …

Der kleine Puck

Die Einladung kam unerwartet.
„Wollt ihr mit zum Eishockey am Freitag?“
„Wer spielt denn da und wo?“
„In Rostock, im Eisstadion und die „Piranhas“ spielen gegen Hannover!“
Warum eigentlich nicht?
Für mich wäre es eine völlig neue Erfahrung und für solche bin ich immer offen. Die „Piranhas“ spielen in der Oberliga Nord.

Wegen mangelnder Parkplätze fahren wir mit der S-Bahn und Strassenbahn, den Rest zu Fuss. Wir treffen vor dem Stadion auf Micha, der die Karten hat. Er ist sehr guter Laune und beginnt sofort, mir die Regeln zu erklären. Ich unterbreche ihn lachend und meine, dass er das später noch machen kann. Er hat eine Jahreskarte für sechs Personen. Drei Plätze sind heute noch frei und diese werden ihm relativ schnell abgekauft. Wir sitzen mitten im Fan-Bereich.

Nach und nach trudeln die Zuschauer ein. Es ist Vorweihnachtszeit und die meisten tragen eine Mütze, zum Teil sehr witzige Modelle. Micha kramt seine Sirene aus DDR-Beständen aus dem Rucksack und führt sie mir vor.

Absolut schriller Ton! Die Umstehenden heben den Daumen- klasse Ton. Micha holt noch einen Schal mit dem Logo der „Piranhas“ aus dem Rucksack und legt ihn mir um. Das muss sein! Ich überlege kurz, wer den Schal schon alles umhatte und schiebe den Gedanken sofort beiseite. Bei diesem hohen Adrenalinpegel hat kein Keim eine Chance. Micha scheint hier jeden zu kennen und ich wohl auch bald. Immerzu klatsche ich fremde Leute ab. Es wird viel gelacht, aus den Lautsprecherboxen tönt Musik von Rammstein. Passend. Plötzlich zuckt Micha zusammen, hält die Hand vor den Mund, völlig irritiert. Ein unterer Schneidezahn ist ihm rausgefallen!
„Sieht man das?“, fragt er unsicher.
„Nein, überhaupt nicht“, antworte ich „man schaut dir in die Augen, nicht auf den Mund!“
Er ist beruhigt und lässt kurz die Sirene heulen.
Das Licht wechselt, zwei kleine Nachwuchssportler drehen die Runde und schwenken die Fahnen der beiden Mannschaften. Das wird lautstark begrüßt und beklatscht.
Nun laufen die Spieler aufs Eis. Der Stadionsprecher ruft die Vornamen der einheimischen Spieler und die Zuschauer rufen den Nachnamen. Super Stimmung!

Micha erklärt mir noch kurz die Spielregeln. Der Puck fliegt so schnell hin und her, dass ich das erste Tor nicht bemerkt habe. Es war für den Gegner und wurde von den Rostockern übergangen. Man klatscht nicht für den Gegner! Erst als die „Piranhas“ zum 3:1 aufschliessen, gibt es Begeisterungsstürme von Trommeln und Michas Sirene. Nach 20 Minuten und mehreren Unterbrechungen eine erste längere Pause. Ich will mir am nächsten Tresen etwas zu trinken holen, aber es ist der für die VIPs. Gibt aber auch nur Bier und Bockwurst. Also aus der Halle raus und ein Bier gefasst! Alle kennen und duzen sich- ich gehöre fast dazu.
Ein schönes Gefühl!
Das zweite Drittel beginnt, nachdem das Eis aufgefrischt wurde. Sieht nicht so gut aus für uns. Buhrufe auf die Schiedsrichter ertönen, was ich nicht nachvollziehen kann. Aber ich sehe ja auch nicht immer den Puck!
Plötzlich lauter Knall, ein Eishockeystock zerbrochen auf dem Eis und nun richtiger Tumult. Die Fans hocherregt! Eigenartigerweise ist es so schnell wieder ruhig, wie es begonnen hat. Die Trommel neben mir ertönt wieder im Takt zu den Rostock-Rufen. Hannover verzeichnet inzwischen fünf Punkte und das letzte Drittel beginnt nach der Pause. Die Piranhas treffen das Tor zum zweiten Punkt. Frenetischer Applaus!
„Wir könnten es noch schaffen“, sagt der Mann zu mir, als er sich umdreht. Ich nicke.
„… auf die Fresse … auf die Fresse … aber ohne Gewalt!“, höre ich hinter mir schreien.
Hm, wie sollte das gehen?
Die Hannoveraner schiessen das sechste Tor und damit ist klar, wer der Sieger ist. Vor mir wird das Spiel analysiert, warum die Piranhas nicht gewinnen konnten.
Ich gebe Micha den Schal zurück, obwohl er meint, ich könne ihn schon für das nächste Spiel behalten. Mal sehen!
Ein Erlebnis der etwas anderen Art mit freundlichen, kameradschaftlichen Menschen, die begeisterungsfähig sind und ihrer Mannschaft die Treue halten.
Immer!!!

Der erste Glühwein

Die Woche beginnt mit einem Zahnarztbesuch. Wider Erwarten gibt es nach Ende der Behandlung keine Auflage, zwei Stunden nichts zu essen. Dann steht dem ersten Glühwein nichts im Wege. Allein trinken macht wenig Spass, deshalb Einladung an eine Freundin, deren Absage sofort kommt, da sie eine andere Einladung hat.
Egal, ich laufe die Kröpeliner Strasse an den Weihnachtsbuden entlang und stoppe am Weinstand vom Weingut MISSKAM.
„Weiß, Rot oder Rosé?“, fragt der Verkäufer. Ich wusste gar nicht, dass es auch Rosé-Glühwein gibt, entscheide mich aber für Rot. Noch ist der Weihnachtsmarkt recht leer und ich stelle mich an einen der ‚Stehtische‘, nachdem ich um Erlaubnis gebeten habe.
„Jederzeit und gerne länger“, lacht der Mann, der dort mit einem Becher Glühwein steht. Er hat einen richtigen, ganz dichten Rauschebart und lustige Augen. Schnell kommen wir ins Gespräch und ich erfahre, dass er früher Lokführer war. Er hat Schlosser gelernt, war dann beim BARRAS (…ähm, Sie wissen, was Barras heißt?) und schulte später zum Lokführer um. Seit einem Jahr ist er im Ruhestand, hätte weiterarbeiten können, aber er mochte nicht mehr die vielen jährlichen Nachweise erbringen. Der unregelmässige Dienst, oft Bereitschaft, Schichtdienst, nein- genug! Es war eine schöne Zeit, guter Zusammenhalt unter den Kollegen, doch- es hat Spass gemacht. Ihm wurde angeboten, die Strassenbahn zu führen, weil es dort weniger Prüfungen gibt. „Aber das kann man doch nicht mit einer Lok vergleichen!“, empört er sich sogar jetzt noch.
Er hatte so gut wie keinen Kontakt zu den Fahrgästen, nur dann, wenn er auf dem Bahnsteig stand, um Absprachen zu treffen. Einmal allerdings, in Bad Doberan, lief eine Frau vor den Zug, weil sie noch mitfahren wollte. Der Zug war gerade langsam angefahren und- hielt nochmals an. Sie tat ihm leid, wie sie mit den Armen wedelte, hin-und herrannte, und unbedingt noch mitfahren wollte. Die Frau gab dem Schaffner 10€ Trinkgeld und bedankte sich immer wieder. Eher ungewöhnlich.
Sein Becher ist leer und er verabschiedet sich. Schade, ich hätte noch mehr Fragen gehabt. Mein Becher ist noch halbvoll.

„Die Leute hier sind doch alle verrückt und 100 Jahre zurück, nicht zu glauben! Ich habe überall gelebt, in Afrika, Asien und Spanien, unmögliche Leute hier …“, schimpft eine Frau hinter mir und stellt sich dann an den Tisch. Ich sehe eine lebhafte, erregte, rothaarige Frau in einem Fellmantel. Ein grosser Hund, dem sie über den Kopf streicht, lässt sich neben ihr nieder.
Ich frage sie, was sie denn so wütend macht. Ja, meint sie, die wollten meinen Hund nicht an den Tisch lassen. Ich schaue auf diesen grossen, friedlichen Hund und denke, ja, gut, kann ich verstehen. Hunde wollen nie beissen, meist nur spielen. Weiss das der Hund auch?
Sie wühlt in ihrer Tasche und holt einen Pullover heraus, den sie dem Hund anzieht und meint dabei:“Man muss nicht teures Hundezubehör kaufen, ein einfacher Pullover tut es auch. Ausserdem sind das Naturfasern, kein Polyester. Der Hund spürt das.“ Interessant.

Dieser lässt alles ruhig über sich ergehen, kommt dann zu mir und beschnuppert mich.
„Der mag Sie, das sehe ich sofort!“, ruft sie euphorisch, „passen Sie bitte auf den Hund auf, bis ich mir einen Glühwein geholt habe!“ Da er nur schnuppert und nicht beisst, ist das kein Problem. Mein Becher ist inzwischen leer und da ich wissen will, wer diese junge Frau ist, hole ich mir nach ihrer Rückkehr einen zweiten Becher. Diesmal weiss.
Ja, sie ist aus Rostock, musste aus Berlin hierher ziehen, weil der Mann stark asthmakrank ist. In Berlin war alles viel besser und viel mehr los. Klar. Nur eben die Luft nicht. Die Leute viel freundlicher. Auch klar.
Warum sie nicht im Ausland geblieben ist, frage ich, da ist das Wetter doch sicher besser?
Sie sei Fotografin und wollte die ganze Welt kennenlernen. Studiert habe sie in Weissensee an der Kunsthochschule. Ob ich die Gruppe OSTKREUZ kenne und die Fotografin Ute Mahler? Vor einiger Zeit gab es darüber eine Ausstellung in der Kunsthalle und ich weiss deshalb Bescheid. Das überrascht sie. Was sie denn genau fotografiere und ob es eventuell Ausstellungen gibt, versuchte ich zu erkunden. Darauf geht sie nicht ein, erzählt nun von ihrem Mann, dem dritten, aus Guinea, der in der Nachwendezeit nach Berlin kam. Das war eine tolle Zeit für ihn! Er brauchte nicht arbeiten. Ob er denn jetzt arbeitet, wollte ich wissen. Er sei Fahrscheinkontrolleur bei der Strassenbahn. Seine Mutter hat Tiermedizin in Guinea studiert, hm, irgendwie geht jetzt alles durcheinander.
Plötzlich ruft sie laut einen Namen und eine andere Frau kommt daraufhin an unseren Tisch. Sie waren Kolleginnen und arbeiteten beide bei TK Maxx. Gerade will ich noch etwas fragen, da unterbricht sie mich und sagt, sie muss sofort los. Ihre Mutter wird heute 70 und sie sei ganz frisch verheiratet. Die Mutter. Ihren Mann lernte sie über eine Annonce im HAMBURGER ABENDBLATT kennen.
„Du kennst doch meine Mutter? Oder?“
Die Kollegin schaut irritiert und meint zu mir, dass sie sich gar nicht so gut kennen und die Mutter noch nie gesehen hat. So plötzlich wie die Frau auftaucht, verschwindet sie. Im Schlepptau den Hund im grauen Pullover.

Ich bleibe etwas ratlos zurück und überlege, was von dem Erzählten gestimmt haben könnte. Vielleicht überlegt es sich mit einem dritten Glühwein leichter?

Der frühe Abend ist noch lang und ein Platz am Stehtisch wieder frei …

Zwei Flaschen und ein Foto

Die Welt verändert sich. Ständig.
Was gut ist und sich für jeden anders anfühlt. Ich stelle die Veränderungen an Weiterbildungen fest. Auslöser für diese kleine Geschichte sind zwei Fotos. Eines entstand am Strand, während Sturmtief ‚Niklas‘ wütete, das andere wählte ich aus einem grossen Stapel während einer Weiterbildung aus.

Als ich noch in einem Betrieb tätig war, gab es bei Weiterbildungen bzw. zu Lehrgängen ein Thema, eventuell neue Erkenntnisse bei der Produktion, Qualität oder Zusammensetzung von Produkten, das erörtert und dafür neue Handhabungen erarbeitet wurden. Diese Veranstaltungen begannen mit einer Begrüssung und evtl Regelung organisatorischer Fragen und dann wurde das entsprechende Thema behandelt. Die Abendveranstaltungen waren un-organisiert und meist feuchtfröhlich. Es kam zu ungeplanten Begegnungen. Manchmal.
Das erlebe ich heute ganz anders.
Wobei ich sagen muss, dass es keine Themen mehr sind, die sich mit Veränderung eines Produktes befassen, sondern es geht im weitesten Sinne um die Seele, das innere Befinden.
Das Kennenlernen der Teilnehmer eines Lehrganges ist nun komplizierter und gestaltet sich oftmals spielerisch. Einmal erlebte ich, dass uns die Referendarin auf ungewöhnliche Weise kennenlernen bzw. sich ein Bild über unser Wesen machen wollte. Sie bat uns, ein Kleidungsstück zu benennen, das wir gern sein wollen. Hä?
Allgemeine Verunsicherung und dann nannte jeder eins. Natürlich, klar, der BH, mit der Begründung, dass zusammengehalten und aufgerichtet werden muss, was zusammen gehört. Allgemeines Gelächter. Es gab das Tuch, um zu verhüllen, Socken zum Wärmen, den Hut, um sich zu verstecken- jeder fand ein Kleidungsstück.Ich wählte das Shirt, weil es zu allem passt und zu jeder Gelegenheit getragen werden kann. Dass sich die Referendarin nun ein Bild von jedem machen konnte, ähm, es erschloss sich mir nicht.
Der Klassiker bei einer Weiterbildung fehlt selten, sicher in Variationen. Wie diesmal.
In der Mitte des Raumes lagen viele Karten, offen, mit den unterschiedlichsten Motiven wie Natur, Menschen, Bewegung, Häuser, Gärten etc. Jeder suchte sich eine Karte aus, die sein Inneres ansprach oder einfach nur gefiel. Meist muss das ausgewählte Bild begründet (… was macht es mit dir?) oder eine Geschichte darüber erzählt werden.
Es geht aber auch anders! Das Bild auf der Karte sollte nachgestellt und fotografiert werden . Warum und weshalb- keine Ahnung! Vielleicht ging es nur darum, sich in eine andere Person oder Situation einzufühlen. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich eine andere Karte ausgewählt.
Ich wählte eine Karte von Edward Hopper, weil ich seine Bilder mag. Immer wieder stand ihm seine Frau Modell und oft war Einsamkeit sein Thema. Ich mag seine Bilder.
Nur – wie sollte ich es nachstellen? Eine Frau, auf ungemachtem Bett sitzend und aus dem Fenster schauend?
Gemeinsam versuchten wir es in unserem Hotelzimmer umzusetzen, lachten viel und waren letztlich mit unseren Ergebnissen zufrieden. Natürlich, ganz klar, kleine Unterschiede, die Frau hat lange Haare, ich nicht und von den Jahrzehnten, die zwischen uns liegen, auch mal ganz abgesehen :-))

Das ausgewählte Bild meiner Freundin war etwas einfacher nachzustellen. Immerhin, wir hatten Spass und der Perspektivwechsel war interessant. Abendveranstaltungen mit Tagesauswertungen gibt es immer noch, meist auch feuchtfröhlich, allerdings mehr mit dem ‚harten Kern‘ der Gruppe. Das Gesundheitsbewusstsein steigt mit zunehmendem Alter. Unterschiedlich stark.

Gestern am Strand, als der Wind wütete, fand ich zwei leere Flaschen im Sand.

Ein Berliner und ein Hasseröder Pils. Berlin traf auf den Harz. Harz auf Berlin. Nun könnte ich mir auch hier eine Geschichte ausdenken oder Fragen formulieren. Kannten sich die jeweiligen Getränksleute? Sind sie freundlich auseinandergegangen, um in einer Kneipe weiterzutrinken? War es ein Pärchen und wenn ja, wohin ging es für sie, als die Flaschen leer waren? Wurden die Flaschen mitgebracht oder hier im Ort gekauft? Gibt es hier an der Küste überhaupt Berliner Pils? Oder war der Wind verantwortlich, dass die Flaschen nebeneinander zum Liegen kamen? Hatte er sie freigeweht? Und wie stellt man zwei Flaschen als Foto dar?
Das dürfte hierbei das Einfachste sein.
Viele Fragen, die ich beantworten könnte. Aber nicht will. Es ist ja keine Weiterbildung. Oder doch? Im weitesten Sinne?
Ehe noch mehr Fragen auftauchen, höre ich besser mit dem Schreiben auf.
Zumindest für heute.

… wenn ich vom Bahnhof

komme, vom Kirchenplatz nach rechts in die Strasse schaue, sehe ich ein Haus, unser Haus und ein wohliges Gefühl durchströmt mich. Lange Zeit war mir nicht bewusst, wie privilegiert ich wohne: mitten im Ort, kurzer Weg zum Bahnhof, zum Wasser und zu EDEKA – ha ha! Nebenan wird zur Zeit ein Haus umgebaut und ich erinnere mich an die ersten Schritte beim Bau unseres Hauses.
1962 kaufte mein Schwiegervater das Grundstück und liess darauf ein Schaufenster für sein Geschäft am Kirchenplatz bauen, das er seit 1946 betrieb.
Auf dem Grundstück im hinteren Bereich befand sich ein verwohntes, fast schon verwahrlostes Haus, in dem Asoziale wohnten. Das soll nicht abwertend klingen, aber sie waren wirklich nicht zu überzeugen, in irgendeiner Form am sozialen Leben teilzunehmen. Das bisschen, was sie zum Essen brauchten, tranken sie. Hochprozentig.
Wovon sie gelebt haben, weiss ich nicht, da ich erst Ende der 70iger Jahre nach Warnemünde kam.
Beim Antrag auf eine eigene Wohnung hiess es, dass wir noch lange nicht dran seien: erst alleinstehende Mütter, Familien mit mehreren Kindern, Geschiedene und dann -eventuell- wir. Dieses EVENTUELL hätte Jahre dauern können und wir stellten deshalb einen Antrag auf Baugenehmigung eines Wohnhauses auf diesem Grundstück. Er wurde genehmigt. Das alte Haus stand schon längere Zeit leer.

Nun hatten wir beide als junges Paar, ab und an mit Helfern, längere Zeit jeden Abend und am Wochenende etwas vor: wir rissen das alte Haus ab, klopften den Mörtel bzw. Lehm von den Steinen, stapelten sie, um sie später wieder verwenden zu können.

War anstrengend, sehr anstrengend.
Ein Bauingenieur mit Kontakt in den Westen projektierte das Haus und noch heute könnte ich ihm dafür die ‚Füsse küssen‘. Er projektierte u.a. eine offene, grosse Küche, die gleichzeitig Wohnraum sein sollte mit Blick in einen ca 7x10m grossen Garten. Hier konnte das Leben spielen, allein, mit Familie oder mit Freunden. Offene Küche war damals noch nicht üblich. Einfach ein Geschenk!
Vor Baubeginn war der Kontakt zu den Nachbarn relativ normal, sicher nicht sehr eng, normal eben. Während und gegen Ende der Bauzeit verkehrten wir nur noch über Erich Honecker mit ihnen. Eine Eingabe jagte die andere! Sie freuten sich wahrscheinlich unbändig mit uns. Gerne hätte ich nachgefragt, aber, wie gesagt, Kommunikation über EH in Berlin. Für die Anfrage bzw. Antwort war mir das Porto zu schade. Die Eingaben waren Nichtigkeiten, die aber immer im Rat des Bezirkes abgeklärt werden mussten und einen Besuch der Bauaufsicht nach sich zogen. Bis ein Ergebnis vorlag, durfte nicht weitergebaut werden.
Das verlängerte die Bauzeit enorm.
Wir waren glücklich, dass wir Maurer gefunden hatten, die zusammen mit meinem Mann fast jeden Tag nach Feierabend in der Woche und am Wochenende arbeiteten. Sofern es möglich war. Die Versorgung der Truppe oblag mir. Sie hatten viel Durst, der mit Bier gestillt werden konnte. Dass einige Wände der Wasserwaage nicht standhalten können, nun ja, ist passiert. Es stört aber nicht das Lebensgefühl, nur dann, wenn man nachmisst. Wer macht das schon? Die Bilder hängen alle gerade!

Für den Hunger gab es Bockwurst mit Brötchen. Oder Brötchen mit Bockwurst. Es war der Wunsch der Maurer, dem ich gern nachkam. Am Wochenende kochte ich immer Eintopf, gehaltvoll mit viel Gemüse und Fleisch. Immerhin arbeiteten sie 10h! Das Fleisch zu besorgen war problematisch, aber es gelang mir. Ich kaufte Freibankfleisch, das einmal in der Woche in meinem Betrieb angeboten wurde. Sicher eines der ersten Joint Ventures zwischen Fleisch- und Fischkombinat! Ging aber nicht sehr lange, da der Verkauf fast unter dem Fenster der Betriebsleitung stattfand. Die lange Schlange störte sie beim Arbeiten und Denken. Vermuteten wir.
Freibankfleisch ist minderwertig, aber nicht gesundheitsschädlich. Es stammt von Tieren, die Unfälle hatten und notgeschlachtet werden müssen. Die Untersuchungen dieses Fleisches war und ist wesentlich gründlicher als bei Normalschlachtungen.
Vor dem kleinen Verkaufswagen standen immer lange Schlangen. Der Verkäufer hatte das Fleisch schon in kleine Pakete fertiggepackt. Er tastete, ungesehen von uns, mit seinen sensiblen Fingern das Paket ab und wusste, wie hoch der Knochen- bzw Fleischanteil war. Dann kam seine grosse Stunde! Der Verkauf erfolgte nach Gesicht und Sympathie. Seiner Sympathie. Wählen durfte man nicht. Eine attraktive Frau, die immer gute Pakete bekommen hatte, erwähnte einmal, dass sie auch ihren Hund mit dem Fleisch füttert. Ein ganz schlechter Beitrag! Alle Gespräche verstummten. Der Verkäufer schaute nur. Ab diesem Zeitpunkt bediente er sie nicht mehr.
Ich hatte Glück, das richtige Gesicht und deshalb so gut wie nie Knochen im Paket.
Für meine Kochkünste wurde ich gelobt, fast immer.
Einmal kam es auf dem Bau zu einem Zwischenfall.
Die Baubrigade hatte viel Durst. Immer. Sie tranken am liebsten Bier und meist eine Flasche ‚Blauer Würger‘ zum Abschluss der Arbeit. Das war ein preisgünstiger Wodka, der seinen Spitznamen dem blauen Etikett und dem Halskratzen beim Trinken verdankte.
An dem Tage kletterte einer der Mauerer nochmals die Leiter hoch, weil er etwas vergessen hatte, verlor das Gleichgewicht und fiel hinunter! Ein dumpfer Aufschlag, Schreck und ein erstickter Schrei! Wir wollten sofort einen Arzt holen, was er ablehnte. Schwarzarbeit wurde geahndet. Ihm gehe es gut, meinte er, als er aufgestanden war. Bei uns blieb ein ungutes Gefühl! Mitten in der Nacht kam seine Frau und sagte, dass ihr Mann nicht richtig atmen kann. Der nächste Schreck! Wir weckten einen befreundeten Arzt, der sofort mitkam und ihn untersuchte. Er hatte eine schwere Prellung, aber nichts gebrochen. Wir waren alle sehr erleichtert.
Ein grosses Problem beim Bau damals war die Baustoffversorgung, mit der alle zu kämpfen hatten, die bauten. Ein anderes, unendliches Thema …

Interessant, was ein normaler Blick in die Strasse und auf das Baugerüst beim Nachbar für eine Erinnerung auslösen kann.
Es ist November und es regnet. Der Regen prasselt gegen die Scheiben und der Blick in den Garten ist verschwommen.
Das Geräusch ist sehr entspannend. Ein Glas Wein könnte den Tag abrunden.
Immerhin habe ich gerade ‚Steine gekloppt‘, was auch in Gedanken anstrengend war.

Barfuss unterwegs

Deutschland ist verschnupft.
Im wahrsten Sinne, weil eine Erkältungswelle durch das Land rollt. Die nehme ich natürlich mit und erkälte mich! Wer ist schon gern Aussenseiter? Es hat etwas, die Welt kurzzeitig vom Bett aus einer anderen Perspektive zu sehen und von dem Mann, der mit mir leben darf, mit Medikamenten und Zuwendung versorgt zu werden.

Die junge Frau, die ich einen Tag vor meiner Erkältung an einer Haltestelle traf, erkältet sich sicher nicht. Mit Trenchcoat, weiten, knöchellangen Hosen bekleidet und einem modischen Rucksack auf dem Rücken stand sie wie ich und wartete auf den Bus. Einen hatten wir knapp verpasst, der nächste kam in 15 Minuten.
Ihre Füsse waren nackt!

November mit 5-8 Grad Aussentemperatur, Pfützen, Modder und Steine auf dem Weg und die junge Frau lief barfuss. Ich musste immer wieder hinschauen und als sich unsere Blicke begegneten, sprach ich sie an.
Ich fragte sie das, was viele andere vorher schon gefragt hatten, ob sie denn nicht friere? Nein, war die schnelle Antwort. Sie erzählte auf meine weiteren Nachfragen, dass sie Studentin sei und erst seit kurzem in Rostock Biowissenschaft studiere.
Sie kommt aus Gera in Thüringen und läuft seit dem Frühjahr barfuss durch die Welt.
Ich nahm an, dass es eine Wette war, aber nein, es war ihre Überzeugung. Sie hatte einen Artikel darüber gelesen und wollte es ausprobieren.
Barfußgehen sei eine großartige Möglichkeit, sich selbst und die Welt besser kennenzulernen, erzählte sie begeistert. Es ermöglicht, mit allen fünf Sinnen zu laufen. Jeder Schritt ist anders und fühlt sich anders an. Man spürt die Wärme der Sonne auf der Haut, den kalten Wind, den weichen Sand und die harten Steine.
Man bekommt ein viel besseres Gefühl für die Oberfläche, auf der man läuft, entdeckt die verschiedenen Untergründe neu und lernt, sich an die unterschiedlichen Bedingungen anzupassen.
Zu Anfang lief sie in der Wohnung barfuss, zum Briefkasten und zum Einkaufen. Sie steigerte sich langsam von Woche zu Woche und lernte achtsam zu gehen, passte auf, dass sie die Füsse nicht überforderte. Die Haut an den Fußsohlen musste sich an die Belastung gewöhnen, sie musste robuster werden. Zu Anfang hatte sie Muskelkater im Knöchel-Waden-Bereich. Das gehört jetzt alles der Vergangenheit an, lachte sie. Inzwischen war sie in den Bergen wandern, in vielen Städten unterwegs. Schwierig sind Wiesen wegen der Insektenstiche und Wiesenränder wegen der Hundehaufen! Ich fragte, ob sie mir ihre Fussohlen zeigen kann. Kein Problem! Die Haut war nicht rissig, da sich schon dünne Lederhaut gebildet hat. Kalte Füsse hat sie nicht mehr, muss sich aber auf kalten Böden immer bewegen. Die Pflege ist sehr wichtig und sollte der Weg wirklich zu schwierig werden, benutzt sie Barfussschuhe, die eine ganz dünne Sohle und keinen Absatz haben.
Der Bus kam um die Ecke und wir mussten das Gespräch abbrechen. Schade!
Ich wünschte ihr alles Gute und meinte, dass sie nie von einem Prinz gefunden werden wird, da sie keinen Schuh verlieren kann.
Wir lachten.

Das Konzert

Wie besessen rannte ich zum Radio, stellte auf volle Lautstärke und sang mit: ‚Dein Name’! Einer der besten Songs von Uschi Brüning wurde gerade im NDR gespielt. Ich war begeistert! Ein guter Auftakt für das Konzert heute Abend mit Uschi Brüning und Band im Jazzkeller, das ich unbedingt besuchen wollte.
Ich ließ meine Augen noch eine Weile geschlossen, als das Lied verklungen war. Und dann sang ich es in Gedanken noch einmal.
Das erste Konzert mit Uschi Brüning besuchte ich Anfang der 70iger Jahren im Friedrichstadtpalast Berlin.

In den frühen 70er Jahren sang Manfred Krug zusammen mit Uschi Brüning, der damals besten und talentiertesten Sängerin der DDR in der Klaus Lenz Band. Mit dem Titel ‚Dein Name’ fasste sie auch in der Schlagerbranche Fuß.
Über drei Stunden hatte ich damals im Dezember nach einer Karte angestanden. Es war kalt und ich fror jämmerlich. Der Mann vor mir in der Schlange, Reiner, hatte vorgesorgt mit trockenen Keksen, heißem Kaffee in einer Thermoskanne und bot mir von allem etwas an.
„Nimm ruhig, ich habe die ganze Tasche voll mit dem Zeug. Becher habe ich nur einen mit, da musst du aus meinem trinken. Stört dich das?“
Es störte mich nicht und wir kamen ins Gespräch, hofften, dass wir noch eine Karte abbekommen würden, da das Konzert schon ziemlich ausverkauft war. An dem Konzertabend damals saßen wir nebeneinander im 4.Rang, letzte Reihe und waren total glücklich.
Es war mein erstes Konzert überhaupt.
Ich hatte es geschafft, die Provinz hinter mir zu lassen, studierte seit vier Monaten an der Humboldt-Universität. Ich wollte leben, studieren, flirten, feiern und mich nicht festlegen.
Nach Berlin wollten alle irgendwann mal gehen, mindestens für ein Wochenende. Berlin war für uns der Inbegriff des anderen Lebens, der Ort, wo die Musik lauter und schneller gespielt wurde, wo die Filmpremieren stattfanden, wo die Schaufenster bunter, die Abende länger waren. Es war der Ort, wo die Weltrevolution bei Fettstullen und bulgarischem Rotwein heftiger diskutiert wurde als woanders in der DDR-Provinz.

Von Jazz wusste ich bis dahin nichts und auch mit Männern konnte ich nichts anfangen. Während ich zu letzteren relativ schnell Zugang fand, bleibt mir die Musik bis heute etwas fremd.

Kurz nach sieben kam ich an diesem Abend im Jazzkeller an.
Als ich die Treppe hinunterstieg, schlug mir Stimmengewirr entgegen. Der Preis der Eintrittskarte war sehr niedrig, was mich verwunderte.
Ich kannte einen großen Teil der Anwesenden, deren Gesichter vielfach gerötet und erregt waren. Die Luft vibrierte von den Gesprächen und vom Lachen, sie vibrierte von der Erwartung. Warten war und ist für mich immer ein aufreizender Augenblick, den ich manchmal gerne in die Länge ziehen möchte. Eine enorme Vorfreude lag in der Luft.
Die meisten standen oder saßen in Gruppen beieinander und unterhielten sich.
Ich hatte Mühe, einen freien Platz zu finden, der strategisch und kommunikativ günstig lag. Die Stimmung übertrug sich schnell auf mich.
Schließlich fand ich einen Platz in der Nähe des Tresens.
Ich schaute nach links und begegnete dem Blick eines Mannes. Irgendwie kam er mir bekannt vor. Wir musterten uns aus den Augenwinkeln. Um die Taille hatte er einen leichten Ansatz, eine fast sinnliche Schwellung, die mal mehr oder weniger zu sehen war. Das Kopfhaar war stark gelichtet. Ich guckte intensiver. Er guckte ebenfalls, nunmehr wir beide mit halbem Lächeln.
Da schoss es mir ein, woher ich ihn kannte. Siedendheiß schoss es mir ein!
„Sie waren kürzlich in meiner Praxis, stimmt’s?“ fragte er fast im gleichen Moment.
„Ja, war ich, stimmt!“ antwortete ich und schaute etwas verlegen nach unten.
Es war der Arzt, der vor drei Wochen eine Rektoskopie bei mir vorgenommen hatte. Ich würde also den ganzen Abend neben einem Mann sitzen, der eines meiner dunkelsten Geheimnisse kannte! Wie aufregend.
Etwas verschämt schaute ich auf seine Hände, die auf der Tischkante lagen. Ihr Anblick faszinierte mich zunehmend. Es waren auffällig knotige Hände und an den Fingeransätzen sah man Haarbüschel. Die Fingerkuppen waren so flach wie die Saugnäpfe eines Salamanders aus Madagaskar. Die Daumen erschienen mir unanständig lang und wie eine Banane gekrümmt. Die Hände waren hässlich, sicher, aber da sie mich an meine erste große Reise nach Afrika erinnerten, störte mich diese Hässlichkeit nicht. Für mich war es jene Art von Hässlichkeit, die schon wieder faszinierend wirkt. Er trug keinen Ehering, schaute locker im Saal umher, nein, er war wohl nicht verabredet. Ich schaute wieder in sein Gesicht, direkt in seine Augen. Dass er sich an mich erinnerte, verwunderte mich.
„Zufälle gibt es, die muss man sofort feiern, oder? Ich lade Sie ein. Was trinken Sie?“
„Einen Rotwein, bitte!“, antwortete ich etwas zögernd und fragte mich, was es da zu feiern gab. Dass er mit diesen Saugnäpfen meinen Körper untersucht hatte, war das ein Grund zum Feiern? Ich ertappte mich, dass ich mich an Äußerlichkeiten, diesmal getarnt als behaarte Saugnäpfe, festhielt.
Er lief zum Tresen, um die Getränke zu holen.

Ich beobachtete die Leute im Saal. An den Begrüßungen sah ich, dass das Konzert Anlass war, sich zu treffen bzw. dass eine unverhoffte Begegnung stattfand.
Der Internist kam mit den vollen Gläsern zurück. Wir stießen an.
„Sind Sie des öfteren hier? Ich habe Sie noch nie hier gesehen.“
„Ja, ab und an, ich mag die Atmosphäre. Übrigens, mein Name ist…..“
„Ich weiß, ich sagte doch, ich erinnere mich!“, unterbrach er mich lachend.
Ich war verblüfft, schaute wieder auf seine Hände. Ich war einfach zu lange allein, die Sicherheit im Flirten war mir abhanden gekommen. Was nützt in so einem Moment beruflicher Erfolg und Anerkennung? Beides hatte ich mehr als genug. Es stimmte, ich war ab und an in dem Jazzkeller, weil ich die Atmosphäre dieses kleinen, stets verrauchten Kellers mochte.
Ich hatte Lust auf ihn. Genau in diesem Moment.
Dass mir sein Name nicht einfiel, irritierte mich allerdings zunehmend. Es war mir peinlich, ihn danach zu fragen. Er stieß wieder mit mir an, lächelte.
Der Raum war nun brechend voll, überall saßen die Leute, auf den Treppen, zwischen den Stühlen und auf dem Fußboden.
Endlich betraten die Musiker, ausschließlich Mitglieder der Posterneck-Group, die Bühne und stimmten ihre Instrumente ein. Diese Gruppe war die momentan angesagteste Jazzformation der Stadt. Das Bild von Pavel Posterneck, dem Chef der Band, war so oft in der Zeitung, dass selbst ich ihn inzwischen kannte.
„Das verstehe ich nicht. Wieso sind denn nur diese Musiker auf der Bühne?“, schrie ich meinem Nachbarn ins Ohr. Auch er hatte keine Erklärung.

Der Stimmungspegel war inzwischen weiter angeschwollen, es wurde laut und hemmungslos gelacht und erzählt, der Alkohol tat seine erste Wirkung, die Luft war zum Schneiden dick.
Der Organisator des Abends betrat die Bühne und begann seine allgemeinen Ausführungen in den Lärm hinein: „… habe ich zunehmend das Gefühl, die Redakteure der OSTSEE-Zeitung wollen uns veralbern …“, hörten wir ihn sagen. Augenblicklich wurde es ruhiger. Wer wollte hier wen veralbern?
„Für die, die es noch nicht wissen sollten, das Konzert mit Uschi Brüning findet heute nicht statt. Sie gastierte bereits am Freitag letzter Woche in der Kunsthalle.“

Stille. Eine eigenartige Stille. Überraschung? Enttäuschung?
Alles fühlbar, greifbar.
Keine Uschi Brüning.
Die Stimmung sank spürbar.
Der Organisator gab das weitere Programm des Abends bekannt, informierte darüber, dass er selbst unter die Musiker gegangen sei, heute Abend im Anschluss an die Posterneck- Group sein erstes Konzert gebe und glücklich sei, dass alle so zahlreich erschienen sind.
Wir schauten uns ungläubig an.
„Der spinnt wohl!“, sagte der Internist in die Stille hinein.
Pavel Posterneck erfasste intuitiv die Situation. Er betrat die Bühne und legte auf fast mediterrane Art seine Hand auf den Oberarm des Organisators. Die Manschetten seines weißen Hemdes waren nicht zugeknöpft, was aus irgendeinem Grunde nicht schlampig sondern fast schon mondän wirkte.
Er unterbrach den Redeschwall und gab das Programm des Abends bekannt.

„Die nächste Runde geht auf mich!“ sagte ich zu dem Internisten, „das gleiche noch einmal?“
„Nein, für mich etwas Stärkeres! Es ärgert mich, dass das Konzert ausfällt. Ich hatte mich so drauf gefreut, sogar den Dienst getauscht. Was mache ich denn jetzt?“, antwortete er.
„Habt ihr denn das nicht gelesen? Draußen an der Eingangstür war doch ein Hinweis, dass das Konzert ausfällt und die Karten zurückgegeben werden können!“, mischte sich ein Nachbar in das Gespräch ein.
Wir hatten beide den Hinweis nicht gesehen. Er würde doch nicht schon gehen?
Während ich an der Theke anstand, sah ich eine Frau im Spiegel, eine Frau, die sich Mühe mit sich selber gab, die versuchte, ihren Jahren noch etwas Attraktives abzugewinnen, nicht groß, nicht dick, nicht dünn, mit einer jener Art Kurzhaarfrisuren im Fransenschnitt, bei der man beim Friseur ein Vermögen hinlegen musste. Sie hatte schöne Augen, braun, soweit man das in diesem Licht beurteilen konnte, leicht verwunderter Ausdruck und einen ganz normalen Mund, allerdings die Sorte Mund, auf der kein Lippenstift hielt. Die Lippen waren rissig vom vielen essen, reden oder vielleicht küssen. Das Kinn war etwas rund und man ahnte, dass Hängebäckchen im Anmarsch waren.
Ich lächelte meinem Spiegelbild zu und lief beschwingt zurück. Mein Bauchgefühl signalisierte mir, dass das einer der schönen Abende werden würde. Unterwegs stimmte ich in den Gesang der Umstehenden ein, einen Song von Uschi Brüning, den die Band spielte.
‚Dein Name’ war der Titel und endlich fiel er mir ein, der Name: Dr. Armin Sibelius!
Ich reichte ihm das Glas und lächelte ihn an.
Er erwiderte mein Lächeln.

Erste Liebe

Ich fiel die Treppe hinauf.
Die meisten fallen die Treppe hinunter, ich fiel sie hinauf und schlug mir dabei das Knie an der eisenbeschlagenen Treppenkante auf. Es war das rechte Knie mit der großen Brandnarbe auf der Kniescheibe. Der Schmerz ließ mich zusammenzucken und aufschreien. Das Blut schoss aus der Wunde, und ich wimmerte noch mehr. Eine fremde Hand ergriff meinen Arm und zog mich hoch. Ich blickte in das Gesicht eines jungen Mannes, der mich aufmerksam musterte und fragte: „Alles ín Ordnung? Kannst du laufen?“
Ich starrte ihn wie hypnotisiert an, verschluckte meine Tränen und nickte. Sprechen konnte ich nicht. Was er wohl von mir denken mochte? Wie sah ich nur aus? Das Gesicht verheult, die Augen dick und rot und dagegen er! Wie kann man als Junge nur so schöne Haare haben, dachte ich auf dem Weg zum Sekretariat, um mir ein Pflaster zu holen.
Es war mein erster Tag auf der Erweiterten Oberschule und ich verliebte mich unsterblich in diesen jungen Mann, einen Schüler der zwölften Klasse, wie ich später erfuhr.
Sein Name, den ich nach vielen Fragen erfuhr, war Rüdiger Mehnert, ein großer, schlaksiger Junge mit langem blondem Haar.
Ich ging gern zur Schule und von nun an noch lieber. In den Pausen, während wir die Klassenzimmer wechselten, versuchte ich immer, einen Blick auf ihn zu erhaschen. Ich glaubte, man sah mir an, wie sehr ich ihn mochte.
Er nahm keinerlei Notiz von mir.
Wenn wir Hofpause hatten und um den Schulteich marschierten, wollte ich in seiner Nähe sein, seine Blicke auf mich ziehen. Nichts, er sah mich nie an. Unentwegt redete ich von ihm. Meine Freundin Gabi verbot mir schließlich, den Namen in den Mund zu nehmen, wenn ich mit ihr zusammen war.

Jedes Jahr fand in der Schule im Treppenhaus ein ‚Treppenfest‘ statt.
Ich freute mich darauf, aber die Frage der Kleidung wurde zu einem fast unüberwindlichen Hindernis.
Die Scheidung meiner Eltern lag in den letzten Zügen und meine vier Geschwister hatten ebenfalls ständig irgendwelche Wünsche. Da brauchte ich mit dem Wunsch nach etwas Neuem zum Anziehen gar nicht erst kommen. Ich war uneinsichtig und bockig, so, wie man mit vierzehn Jahren ist.
Ein neues Kleid sollte es sein, eines, das mich älter aussehen ließ. Wieso ging das nicht? Ich konnte doch Rüdiger nicht in meinem Jugendweihekleid gegenübertreten!
Mit Gabi versuchte ich dieses Problem zu lösen. Von ihr passte mir nichts, da sie einen Kopf kleiner war.

Sie meinte aber, ihre Mutter habe genügend Klamotten und sie würde nichts merken, wenn sie ein Kleid aus dem Schrank entwenden würde.
Gesagt, getan.
Das Kleid war viel zu weit, hatte aber hinten eine Naht und wir beschlossen, es einfach von oben nach unten enger zu nähen. Natürlich ohne Maschine! Von hinten sah es liederlich aus, von vorn ging es. Wir beschlossen, dass meine Freundin immer hinter mir stehen und ich mich möglichst in Wandnähe aufhalten sollte.
Als wir auf dem Fest ankamen, waren schon sehr viele der Schüler und Lehrer da. Mein Herz schlug bis zum Halse, als ich Rüdiger sah. Er schaute in meine Richtung und ich glaubte, er meinte mich. Endlich! Aber nein, sein Freund tauchte gleichzeitig mit uns auf. Ich himmelte Rüdiger an, immer bemüht, es keinen merken zu lassen. Wie gern hätte ich mit ihm getanzt! Obwohl, ich konnte gar nicht tanzen. Und wenn er mich berührt hätte, ach, ich hätte alles dafür gegeben! Die Musik begann zu spielen und es wurde relativ schnell getanzt. Pärchen, die man vom Schulhof kannte, tanzten sehr eng miteinander. Wie ich sie beneidete! Rüdiger tanzte nicht. Ein Mädchen mit langem Haar unterhielt sich mit ihm, was ihn aber nicht hinderte, sich nach anderen umzuschauen und Gespräche zu führen.
Ich litt still.
Gabi wusste um meine Sehnsucht, hatte sich aber auch verknallt und kümmerte sich deshalb nicht weiter um mich. Dass sie immer hinter mir stehen sollte, hatte sie längst vergessen. Auch sie buhlte um die Aufmerksamkeit eines Jungen aus den oberen Klassen.
Plötzlich hörte ich, wie jemand sagte: DAMENWAHL!
Damenwahl… Damenwahl… wie durch einen Schleier hörte ich es und dachte, oh Gott, das ist deine Chance! Jetzt oder nie! Du musst ihn auffordern… einfach hingehen, jetzt!
Wie im Trance ging ich zu ihm hin und bat mit total heiserer Stimme um den Tanz.
Die Gespräche um ihn verstummten, er schaute vollkommen verdutzt auf mich herunter, lächelte verlegen, schaute zur Seite, schaute mir wieder ins Gesicht und sagte:
„Gut, komm mit!“
Und dann tanzte ich mit ihm. Ich, die nicht tanzen konnte, bewegte mich wie eine, die meinte, tanzen zu können. Ich vergaß die liederliche Naht an meinem Rücken, vergaß meine Umwelt. Ich tanzte! Mit ihm! Er hielt die drei Titel durch und brachte mich dann zu meiner Freundin zurück. Ich war einfach nur glücklich.
Wenn wir uns später im Schulhaus trafen, schaute er sofort weg. Gerne hätte ich mit ihm gesprochen, über diesen Tanz, über irgendetwas, einfach nur sprechen. Mit fehlte der Mut für einen zweiten Anlauf und irgendwann war es vorbei mit meiner Schwärmerei.

Jahre später, als ich in Berlin an der Humboldt-Universität studierte und auf einem der seltenen Wege nach Hause war, traf ich ihn im Zug. Ich hatte ihn schon auf dem Bahnsteig gesehen, kurz überlegt, ihn anzusprechen, aber wozu?
Der Zug war brechend voll und ich bekam nur einen Stehplatz. Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter und instinktiv wusste ich: Das ist er!
Überrascht starrte ich ihn an, fühlte, wie meine Narbe am Knie pochte.
„Erinnerst du dich an mich?“, fragte er, fast ein wenig aufgeregt.
Ich nickte und blieb stumm.
„Erinnerst du dich an das Treppenfest?“, fragte er weiter. Ob ich mich erinnerte? Was für eine Frage!
„Ich war damals vollkommen überrascht, als du mich zum Tanzen aufgefordert hast. In meiner Clique wussten alle, dass ich Tanzen ablehne, ich mochte es einfach nicht, mich so zu zeigen. Aber wie dein Gesicht geglüht hat und deine Augen leuchteten, ich konnte gar nicht ablehnen, verstehst du? Und was hattest du bloß für ein komisches Kleid an?“
Ich schaute ihm weiterhin stumm ins Gesicht, als er fortfuhr:
„Kannst du dir vorstellen, dass ich bis zu diesem Tage noch nie getanzt hatte? Was meinst du, wie mich die anderen hinterher aufgezogen haben! Ich wollte dir das schon lange mal sagen. Immer, wenn ich an unserer ‚Penne‘ vorbeilaufe, muss ich daran denken!“, beendete er verlegen lachend seinen Monolog.
Ich beugte mich nach unten, rieb die Narbe an meiner Kniescheibe. Ob er sich auch daran erinnerte, dass er es war, der mir damals beim Aufstehen nach dem Sturz geholfen hatte? Ich könnte ihn fragen, jetzt, nur, wollte ich das? Nein, ich hatte meine erste Liebe, die doch nur eine Schwärmerei war, als meine Erinnerung abgespeichert, wollte ihn nicht mehr daran teilhaben lassen.
Langsam kam ich wieder hoch und stimmte in sein Lachen ein.